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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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vielleicht einmal ein Pflaster werden sollten.
    »Lim«, sagte er mit seltsam belegter Stimme. Dann seufzte er und entfernte sich. Dielen knarzten. Als Summer sich nach ihm umdrehte, war er bereits dabei, sich die nasse Kleidung vom Körper zu streifen. Im Dunkeln erahnte sie seinen Körper nur - ein fahler Glanz der hellen Haut. Er schien sich keine Gedanken darüber zu machen, dass sie sich immer noch fremd waren. Summer wurde rot. Warum so schüchtern? Immerhin haben wir uns geküsst, oder nicht?
    »Hier«, sagte sie und zog eines der Laken aus dem Bündel. Er verstand und fing es auf. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, spürte sie, dass er sich darüber amüsierte. Aber er fügte sich ihrem Wunsch und schlang sich das Leintuch um den Körper.
    Später saßen sie beide in Laken gewickelt auf dem Bett, an dessen Pfosten ihre nassen Kleidungsstücke trockneten. Summer hatte die Vorhänge zugezogen und die Kerze entzündet - Gelegenheit für Anzej, sich maßlos über das Feuerzeug zu wundern. Das war der Moment, in dem ihr wieder klar wurde, dass sie rein gar nichts über ihn wusste. Nicht nur Wasserhähne und Feuerzeuge waren etwas Neues für ihn, auch Geld aus Papier, Schuhe, die man schnüren konnte, Fahrkarten und beleuchtete Schilder. Sie studierte sein Profil mit der geraden Nase, während er das Feuerzeug fasziniert in den Fingern drehte, es auf- und zuschnappen ließ. Im Schein der Flamme wirkte er noch mehr wie eine Statue. Beinahe beängstigend schön, makellos. Und dennoch umgab ihn etwas, das
Summer an Schatten und verlassene Keller denken ließ. Wenn sie ihn ansah, glaubte sie eine Unschärfe am Rand des Blickfeldes zu bemerken, genau dort, wo die Kontraste aufeinandertrafen. Ein Flirren, das sie blinzeln ließ. Im nächsten Moment war es wieder verschwunden. Gespenster , dachte sie. Erst Raupen, dann das Flirren, vielleicht werde ich wirklich verrückt?
    Sie wusste, wie sehr sie es selbst hasste, ausgefragt zu werden, nun aber ertappte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben selbst dabei, dass sie ihre Neugier nicht mehr bezähmen konnte.
    »Was bedeutet ›Lim‹ in deiner Sprache? Stein? Meintest du das vorhin?«
    Anzej ließ das Feuerzeug sinken. Nach einer Weile nickte er. »Stein«, wiederholte er und tat so, als würde er einen unsichtbaren Brocken in der Hand wiegen und dann werfen.
    »Habe ich dann gestern richtig geraten? Warst du tatsächlich in einem Steinbruch? In …«, mühsam suchte sie nach den Namen, die sie aus Maymara kannte, »… Taklar, Kelling … oder …«, sie erinnerte sich daran, dass Ana ihr von einer Mine erzählt hatte, aus der die besten Rohkristalle für Ferngläser und Linsen stammten, »… Sinter?«
    Er zuckte kaum merklich zusammen, Kummer huschte über sein Gesicht. Er zögerte lange, als würde er mit sich ringen, ob er ihr mehr über sich verraten sollte, doch schließlich seufzte er und nickte. »Sinter«, bestätigte er. Deshalb diese Haut. Er hat unterirdisch gearbeitet. Wer weiß, wie lange schon?
    Eine ganze Weile starrte er gedankenverloren mit gerunzelter Stirn an Summer vorbei zum Fenster, dann fiel sein Blick auf die Überdecke aus Leder. Seine Finger hatten glatte Spuren auf der aufgerauten Struktur hinterlassen, die er nun wieder verwischte, um Platz für eine Zeichnung zu schaffen.

    »Stein«, wiederholte er - und begann mit dem Zeigefinger zu zeichnen. Eine Skizze entstand auf dem Leder: Berge, Menschen mit Meißeln und Hämmern. Und ein Mann, der sich unter den Prügeln eines anderen duckte. Anzej hielt inne und kreuzte die Handgelenke.
    Summer schluckte.
    »Gefangener«, sagte sie. »Und woher kommst du? Wo bist du zu Hause?« Sie hoffte, er würde ihre fragende Geste verstehen.
    »Gefangener«, wiederholte er. »Iz Toljan.«
    »Toljan? Ist das eine Stadt oder ein Land?« Sie hasste sich dafür, dass sie so dumm klang und kaum mehr wusste als er. Städtenamen sagten ihr erst etwas, wenn sie dort gewesen war oder wenn andere von ihnen erzählten.
    Anzej begann zu sprechen, seine Worte hallten in ihrem Kopf wider, und sie versuchte, sich einen Reim auf seine Zeichnungen zu machen: Türme an einer Küste, umgeben von einer Art Wall. Und offenbar war die Gegend karg und abgeschieden. Und dahinter Wellen. Ein Meer? Nun, das würde vielleicht erklären, warum er nichts von dem kannte, was für einen Stadtbewohner selbstverständlich war. Die nächste Zeichnung passte dazu: ein Mann, der gefesselt auf ein Schiff geführt wurde. Nach einer Weile bemerkte

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