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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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hob Anzej gerade die Tasche und seinen Beutel, die er vorausgeworfen hatte, vom Boden auf und hängte sie sich um.
    »Spring!«, kam es flüsternd von unten.
    Er breitete die Arme aus, eine schattige Gestalt, bereit, sie aufzufangen - ohne Fragen und ohne Rücksicht darauf, ob er sich dabei die Knochen brechen würde.
    Sie wusste nicht, warum ihr in diesem Moment die Tränen in die Augen stiegen. Oder vielleicht wusste sie es doch. Anzej war hier, er scherte sich nicht um Erklärungen und Zweifel, und sie wusste plötzlich, dass er sie niemals im Stich lassen würde. Und obwohl sich alles in ihr zusammenkrampfte und gegen den Sprung
sträubte, kletterte sie aufs Fensterbrett, schwang die Beine nach draußen und ließ sich fallen.
    Der Boden war weich, dennoch erschütterte der Aufprall sie beide bis in den letzten Knochen. Schlamm spritzte hoch und traf ihre Lippe, Geschmack von Erde und Pfützenwasser. Dann hatten sie sich wieder aufgerappelt und liefen durch die Ahnung des ersten Zwielichts durch nasses Gras. Sie sahen sich nicht um, bis sie eine Gruppe von Sträuchern erreicht hatten, die ihnen Deckung gab. Der Galoppschlag war nun deutlicher, und wenn Summer durch die Zweige spähte und die Augen zusammenkniff, erkannte sie tatsächlich die Silhouette eines Reiters - im Westen, wo er die Nacht noch im Rücken hatte. Es stimmte also. Er folgte ihr.
    »Wenn wir jetzt losrennen, sieht er uns«, flüsterte sie Anzej zu. »Wir warten, bis er im Dorf ist, dann laufen wir.«
    Anzejs Gesicht war grau und so angespannt, als hätte er ebenso schlimm geträumt wie sie. Ihre Blicke begegneten sich. Summer hatte am ganzen Körper Gänsehaut, und auch das Kribbeln summte immer noch zwischen ihren Schulterblättern, dieser Echoschmerz aus dem Traum, der nicht verschwinden wollte. Anzej legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm. Er stellte ihr keine Fragen, aber Summer wusste, dass sie ihm diesmal tatsächlich eine Antwort schuldete.
    »Du hältst mich bestimmt für verrückt, und du hast recht«, flüsterte sie ihm zu. »Ich … habe auch ein Geheimnis.« Sie schluckte, dann hob sie ein Stöckchen auf und kratzte hastig eine Zeichnung in die kahle, schlammige Stelle neben dem Gebüsch. »Das …«, sie deutete auf die grobe Zeichnung der gefesselten, knienden Gestalt, »… bin ich. Und das …«, das Stöckchen zitterte leicht, als sie den Mann skizzierte und das Schwert, das er hoch erhoben über der kauernden, todgeweihten Gestalt hielt, »… ist er .«

    Mit einem fragenden Kinnrucken zeigte Anzej in Richtung des Reiters, und Summer nickte heftig. »Ich glaube, er ist es«, wisperte sie. »Lady Tod hat mich gewarnt. Bis gestern hielt ich ihn noch für ein Gespenst. In meinen Träumen trägt er ein Schwert wie ein Krieger aus einer längst vergangenen Zeit. Aber in Wirklichkeit hat er ein Messer. Er hat mich auch am Bahnhof gesucht. Er will mich töten. Ich weiß nur nicht, warum.«
    Selbst im Halbdunkel konnte sie erkennen, dass Anzej noch blasser geworden war. Der Hufschlag war nun lauter, sie hörten sogar das Schnauben des Pferdes. Atemlos und geduckt lauschten sie. Der Wind trug ihnen die Geräusche zu. Der Galopp wurde zu Trab und der Trab hörte bald darauf auf. Dann sprang der Reiter vom Pferd. Schritte knirschten, dann hämmerte eine Faust mit aller Kraft gegen eine Tür.
    »Jetzt ist er hinter dem Haus und sieht uns nicht!«, zischte Summer Anzej zu. »Los! In Richtung Wald!« Sie wollte hochschnellen, aber Anzej packte ihr Handgelenk und hielt sie zurück.
    »Nein. Dorthin!«
    »Nach Norden? Bist du verrückt? Dazu müssen wir zurück und an den Häusern vorbei!«
    »Lanmah!«, gab Anzej unbarmherzig zurück. »Los!«
    Sie versuchte sich ihm zu entwinden, doch er ließ sie nicht los.
    Die Faust hämmerte noch einmal gegen die Tür, dann rumpelte es und eine Frauenstimme begann zu zetern. Fenster und Türen klappten, andere Stimmen mischten sich ein, offenbar hatte der Reiter das halbe Dorf aufgeweckt.
    »Keine Zeit!«, fuhr Anzej sie an. »Los!«
    »Verdammt noch mal, nein! Willst du, dass wir ins Messer laufen?« Anzej fluchte in seiner fremden Sprache, das Funkeln in seinen Augen verriet Wut und Ungeduld. »Jaljnara tolu kaaa!«,
stieß er hervor. Und diesmal ließ sein Tonfall keinen Zweifel daran, dass er eher Schlamm schlucken als Summer nach Osten laufen lassen würde.
    Er schnellte los und überrumpelte sie, indem er sie einfach mit sich zog. Er war stark, viel stärker als sie. Sie stolperte und

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