Ascheherz
»Und wenn ihre letzte Maske fällt«, fuhr die Beraterin fort, »wirst du keine Barmherzigkeit dahinter sehen, keinen Mut und keine Liebe.«
Maske.
Summer blinzelte. Das Meer im Hintergrund gleißte mit einem Mal viel heller und über ihren Rücken und ihre Schultern glitt so etwas wie ein elektrischer Impuls. Die Feindseligkeit des Hundes war nun fast mit Händen zu greifen. Er sträubte das Nackenfell und zog sich in der Drohhaltung einige Schritte zurück. Er spürt meine andere Wirklichkeit, dachte Summer . Ich muss vorsichtig sein . Sie atmete durch und drängte alle Bilder, die an die Oberfläche kommen wollten, gewaltsam zurück.
»Nun, es wird sich ja zeigen, wen ich in mein Boot geholt habe«, schloss die Frau nachdenklich. »Ach ja, und die anderen beiden Gründe, warum ich dich mitgenommen habe: Erstens, weil ich mich auf Farrin verlasse. Er meint, du seist ein guter Dolmetscher, und im Lager kann man sicher einen gebrauchen. Für die
Proviantlisten, die Zelte, die Befehle für die Soldaten aus dem Ausland. Und zweitens«, sie zog vielsagend die Brauen hoch, »bin ich einfach neugierig, warum mein Hund dich nicht ausstehen kann.«
»Moira?« Schritte näherten sich, dann tauchte Farrin bei ihnen auf. Er lächelte nicht, aber als ihre Blicke sich trafen, zwinkerte er Summer kaum merklich zu. Es tat unendlich gut, wenigstens einen Freund auf dem Boot zu haben. »Ich sehe, du hast Taja schon kennengelernt«, sagte er zu der Beraterin. »Sie kommt aus Beleter.«
Moira zog den linken Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln hoch. » Taja also. Na gut. Kann sie reiten?«
Summer schüttelte irritiert den Kopf.
Moira schnaubte und warf Farrin einen spöttischen Blick zu. »Tja, dann viel Spaß mit ihr.«
»Das ist also dein Käpten«, flüsterte Summer, sobald die Beraterin außer Hörweite war.
Farrin nickte. »Allerdings. Lux nennt sie so, weil sie mit ihr nur im Kommandoton spricht. Die beiden können sich nicht leiden.«
»Warum überrascht mich das nicht? Und was sollte die Frage nach den Pferden?«
Farrin grinste. »Wieder etwas, was du nicht weißt? Im Süden sind sie längst Legende, aber im Nordland haben wir tatsächlich noch wilde Pferdeherden. In Lord Teremes’ Armee gibt es Reitertruppen. Und manchmal nutzen wir die Tiere auch als Transportmittel.«
Summer versuchte, sich eine Reitertruppe vorzustellen, doch alles, was ihr dazu einfiel, war ein altes Schlachtengemälde.
»Dann kämpft Lord Teremes wie ein Krieger aus grauer Vorzeit«, bemerkte sie. »Und du behauptest, ihr seid keine Wilden in
den Wäldern? Habt ihr noch nie etwas von modernen Transportmitteln gehört? Zügen?«
Farrin ließ sich nicht aufziehen, sondern zuckte nur betont arrogant die Schultern. »Natürlich, Südländerin. Aber auf unwegsamem Gelände taugen auch unsere Züge nichts, da braucht man vier Hufe oder zwei Füße. Der alte Hafen liegt versteckt in einer Bucht. Von dort aus kommt man bis zum ersten Lager bei der Stadt Kars nur zu Fuß oder mit dem Pferd. Und für einen Fußmarsch haben wir zu wenig Zeit.«
Summer holte tief Luft. Erst das Wasser und dann auch noch Pferde! Mit einem flauen Gefühl blickte sie wieder zu Moira, die nun am Bug mit dem anderen Botschafter sprach. Farrin musste ihre Gedanken erraten haben.
»Leg nicht jedes Wort von ihr auf die Goldwaage«, sagte er. »Moira wirkt unfreundlich, aber sie ist die beste Strategin in fünf Ländern. Man nennt sie ›das scharfe Auge des Friedens‹. Ihre Kunst ist es, Kriege zu verhindern - auch wenn sie dafür manchmal recht… hm … ungewöhnliche Methoden anwendet.«
»Das kann ich mir vorstellen«, murmelte Summer.
»Wir haben Glück, dass wir sie in Anakand nicht verpasst haben«, fuhr Farrin fort. »Lord Teremes hätte ihr am liebsten ein halbes Heer als Begleitung geschickt, aber sie hat darauf bestanden, von ihrer Stadt aus ohne Eskorte zu reisen - an der Küste entlang, von Hafen zu Hafen, ganz allein. Lux denkt deshalb, dass sie exzentrisch oder verrückt ist und sich für unverwundbar hält.«
Beinahe unmerklich stahl sich bei diesen Worten ein leichtes Lächeln in seine Mundwinkel.
» Du hältst sie nicht für verrückt«, stellte Summer fest.
»Oh nein«, sagte er mit unverhohlener Bewunderung. »Sie ist
nun mal jemand, der immer seinen eigenen Weg geht. Ich denke, sie wollte sich die Leute ansehen, die Söldner, die Stadtherren, die für diesen Krieg zahlen, wollte die Stimmung in den Städten erleben, die Gerüchte, die Angst.
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