Ascheherz
zerschnitt. Sie sprang in dem Moment zur Seite, als das Seil ihre Schulter streifte und riss den Stock hoch. Das Seil verfing sich darin. Sie wirbelte herum und schlug dem Pferd mit aller Kraft auf den Hals. Im selben Moment, in dem das Tier auf ihre Berührung reagierte und erschrocken auf die Hinterbeine stieg, klammerte sie sich mit aller Kraft an den Stock und ließ sich mit ihrem ganzen Gewicht nach links fallen. Ein wirbelnder Strom von Momentaufnahmen: der Vorderhuf, der knapp ihre Schläfe verfehlte und nur ihr Haar streifte. Moosbrocken, die
hoch in die Luft flogen und dann auf sie herunterregneten. Und das überraschte Gesicht des Blutmanns, der das Gleichgewicht verlor und vom Ruck seines eigenen Seils aus dem Sattel gezerrt wurde.
Summer stürzte sich auf ihn, noch bevor er ganz auf dem Boden aufgekommen war. Dann hatte sie bereits sein Messer aus der Lederscheide an seinem linken Bein gezogen und drückte die Spitze gegen die pochende Stelle an seinem Hals. Die Luft flirrte immer noch, doch alles andere schien eingefroren zu sein. Das Tosen des Wasserfalls wurde zum Rauschen ihres Blutes. Dann gab es nur noch den Blick des Blutmanns - ein Zorn, der dem Flirren um ihn einen dunkelblauen Ton gab, Düsternis inmitten vom Licht - und sein Messer in ihrer Hand. Sie hätte zustoßen können, doch sie schreckte davor zurück. Und auch die Frau in Weiß schwieg.
Schmerz zuckte durch ihr Handgelenk und durch ihre rechte Hüfte. Noch bevor sie sich dessen gewahr wurde, dass er sie überrumpelt und von sich gestoßen hatte, raste der Boden auf sie zu. Das Messer blitzte in der Luft, drehte sich und sprang in die Hand des Blutmannes wie ein Hund, der zu seinem Herrn zurückgefunden hat. Summer landete auf dem Rücken im Moos, trockenes Laub und Ästchen rieben an ihren Schultern. Für einige Sekunden lag sie nur da und rang nach Luft. Aus dem Augenwinkel sah sie das Pferd in der Nähe stehen. Mit hängendem Zügel, nervös die Ohren angelegt, jederzeit bereit, zu fliehen. Dann trat der Blutmann in ihr Blickfeld, in der einen Hand das Messer. In der anderen ein Seil. Sie wollte ihn beschimpfen, aber immer noch hatte sie nicht genug Luft. Und als sie sein arrogantes Grinsen sah, überschwemmte die Wut sie so, dass sie glaubte, ersticken zu müssen.
»War wohl nichts«, meinte er. »Tja, alles, was du über das Kämpfen gelernt hast, weißt du von mir, schon vergessen? Und schon damals bist du nicht schnell genug darin gewesen, mit einem Linkshänder zu kämpfen.«
Summer rollte zur Seite und kam auf die Beine. Das wäre der Moment gewesen, um zu fliehen. Wieder einmal? , dachte sie bitter. Doch etwas hatte sich verändert. Die zweite Wirklichkeit umgab sie ganz und gar. Sie fürchtete sich zwar noch vor ihm, aber die Todesangst war verschwunden - und mit ihr das Phantom ihrer Nächte. Wie zwei Gegner, die sich vor dem ersten Schlag abschätzten, standen sie sich gegenüber.
»Du hättest zustoßen sollen, als du die Chance dazu hattest«, sagte der Blutmann. »Dann hättest du mich zumindest geschwächt.«
Seine Lippen waren blau. Wasser rann aus seinem Haar und die Pelzjacke aus schwarzem Wolfsfell glänzte nass und lag auf seiner Haut an, als wäre sie ein Teil von ihm. Er musste frieren, sie aber spürte nicht einmal den Wind. Warum hast du ihn jemals gefürchtet? , dachte sie voller Verachtung. Er ist nur ein Mensch.
Ihr Blut wurde kühl, ihr Herzschlag gefährlich ruhig.
Ein Mensch, der meine Nähe so sehr fürchtet, dass er sich nur sicher fühlt, wenn ich ihm nicht nahe kommen kann?
»Du bist schwach!«, erwiderte sie. »Nichts weiter als ein Feigling. Deshalb musstest du mir in Maymara im Dunkeln auflauern und mich fesseln wie ein Tier. Du musst große Angst vor mir haben.«
Zufrieden sah sie, dass sein Stolz ebenso leicht zu verletzen war wie ihrer. »Merk dir eines«, zischte sie. »Bevor du mich noch einmal fesselst, töte ich dich.« Diesmal war ihre Stimme rau, ein Drohen. Der Blutmann blieb eine Armlänge vor ihr stehen.
»Nur zu«, sagte er.
Summer hob das Kinn. Ich bin Eljana und ich trage so viele andere Namen. Ich kann dir Lebensjahr für Lebensjahr rauben. Ich rufe die Zeit zu Hilfe, die deine Hand zittern lässt und deinen Rücken beugt.
»Du weißt nicht, mit wem du dich hier anlegst!«
Seine Lippen verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Mit dem Tod?«, sagte er voller Verachtung. »Oh ja. Ich zittere vor Angst.«
Sein Lachen peitschte ihren Zorn wieder hoch, ließ das
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