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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Türen zu einem steinernen Saal. Summer wählte einen der Durchgänge, aus dem Wasser floss und in den Bach mündete. Das war ein gutes Zeichen, zeigte es doch, dass es tatsächlich ein Durchgang und keine geschlossene Höhle war. Jetzt musste sie nur noch sicherstellen, dass der Blutmann sich nicht genau dann nach ihr umsah, wenn sie wegrannte.
    Sie wurde langsamer und stolperte absichtlich, damit das Seil deutlich ruckte. Wie erwartet, blickte er sich nach ihr um. In dem kurzen Moment, in dem sich ihre Blicke begegneten, blitzte der Funken eines Zweifels in ihr auf. War es klug, jetzt wegzulaufen? Etwas in der Vergangenheit verband sie.
    Und offenbar sollst du dafür mit dem Leben bezahlen , setzte sie sofort dagegen. Und dennoch schwirrte die Erinnerung an seine Nähe wie ein lästiger Falter um ihren Kopf, ließ sie nicht in Ruhe. Versuchte sogar, Beweise dafür zu finden, dass er nicht so grausam war, wie es den Anschein hatte. Er hat mit dem Brand des Theaters nichts zu tun. Aber er hätte mich in Maymara getötet! Er hat mich entführt und schleppt mich hinter seinem Pferd her wie eine Sklavin!
    Endlich fühlte sie wieder die Wut auf ihn - und den Impuls, so weit wegzulaufen, dass er sie nie wieder finden würde. Hastig streifte sie die Fessel und den Seilgürtel ab. Wie eine Schlange
folgte das lange Seil dem Pferd, schleifte weiter auf dem Weg und verschwand mit einem letzten holprigen Schlängeln im hohen Gras. Jetzt konnte sie sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Frei!
    Sie ging ein paar Schritte rückwärts und massierte ihre tauben Handgelenke, dann duckte sie sich - und glitt zur Seite auf den Bach zu. Das kalte Wasser umschloss ihre Knie und schon beim nächsten Schritt ihre Hüften. Gegen den Strom watete sie ein kleines Stück bachaufwärts - auf den Felsspalt zu. Zu ihrer Überraschung war das Wasser, das aus dem Felsspalt herausschoss, erstaunlich tief. Plötzlich stand sie bis zur Brust im schäumenden Strom und musste sich an den Felsrand klammern, um sich vorwärtsschieben zu können. Schatten fiel auf sie, als sie sich endlich in die Sicherheit flüchten konnte. Ein Echo von Tropfen umgab sie und vermischte sich mit ihrem keuchenden Atem, während sie vorwärtshastete. Auf der anderen Seite hörte sie fernes Rauschen wie von einem Wasserfall. Und Möwenschreie! Sie mussten also schon in der Nähe der Fjorde sein. Atemlos erreichte sie das Ende des felsigen Durchgangs und kletterte auf allen vieren über das steile Ufer. Ihre Hände hinterließen dunkle Abdrücke im reifüberzogenen Moos. Tosen von Wasser umgab sie, Sprühwasser nebelte sie ein, und zu ihrer Linken entdeckte sie tatsächlich eine Art Wasserfall, der sich wie ein windbewegter Vorhang aus Wellen und Gischt von den Felsen ergoss. Über flache Steinschwellen mündete der Wasserlauf im Bogen in den tosenden Bach. Deshalb war die Strömung also so stark gewesen! Mit einem raschen Blick erfasste sie die Umgebung und rannte dann nach rechts - dorthin, wo sich die Felsen in ein Labyrinth aus schmalen Gängen auflösten. Nur einmal hörte sie ein Knacken und verschwendete einen kurzen Gedanken an die Tierläufer.

    Doch dann hörte sie … das Schnauben eines Pferdes? Aber er konnte unmöglich durch eine der schmalen Felsspalten gekommen sein! Ein Blick über die Schulter belehrte sie eines Besseren. Sie sah gerade noch, wie das Pferd in einer Kaskade von glitzernden Wassertropfen aus dem Wasser sprang. Bäche flossen aus seiner Mähne und auch der Blutmann auf dem Pferderücken war vollkommen durchnässt - die Pelzmütze hatte er verloren, zwischen den braunen Haarsträhnen schienen seine Augen besonders hell zu glühen und sein Mund war ein wutbleicher Strich. Seltsamerweise war Summers erste Reaktion nicht Furcht, sondern maßlose Enttäuschung und Zorn auf sich selbst. Und mitten in dieser Kränkung, bei ihrer eigenen Flucht versagt zu haben, leuchteten die Wassertropfen plötzlich im Glanz dieser anderen Wirklichkeit auf. Es war ein unerwartetes Geschenk. Und der Moment, in dem die Frau im weißen Kleid wieder bei ihr war, als wäre sie nie fortgewesen. Hol ihn vom Pferd, befahl sie. Es wird Angst vor dir haben . Konzentriere dich auf das Pferd! Noch im Laufen duckte sich Summer und hob ein abgerissenes Aststück vom Boden auf. Hinter sich hörte sie jedes Geräusch mit doppelter Schärfe: das Schnauben, den weichen Schlag von Hufen auf wassergetränktem Moos - und sogar den Schwung, mit dem das Seil die Luft

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