Aschenpummel (German Edition)
Mal, am allerersten Sonntag gewesen. Von ihrem darauf folgenden Wutanfall haben mir noch zwei Wochen später die Ohren geklingelt.
Außerdem war ich die ersten Monate sowieso viel mehr damit beschäftigt gewesen, auf alle Verkehrszeichen doppelt und dreifach zu achten, den Wagen unter Kontrolle zu halten und hinter jedem Busch einen Polizisten zu vermuten.
Ich war sechsundzwanzig, als Mama mir erklärte, dass ich endlich den Führerschein machen und mir ein Auto zulegen müsse. Sie meinte, heutzutage sollte jede moderne junge Frau einen fahrbaren Untersatz haben. Ich gebe zu, dass mich das ziemlich überraschte. Meine Mutter war sonst so gar nicht von den neuen Zeiten angetan. Aber natürlich gefiel mir der Gedanke schon, eine megacoole Autofahrerin zu werden. Mit Sonnenbrille auf der Nase und Zigarette in der Hand.
Ich kaufte also eine Zeitung und schaute mir Autoinserate an. Der Führerschein mit allem Drum und Dran hätte damals etwa tausendfünfhundert Euro gekostet. Und ein gebrauchtes Auto, auf das man sich halbwegs verlassen konnte, mindestens dasselbe.
Ich hatte keine dreitausend Euro und wusste außerdem, dass ich den Führerschein nie schaffen würde. Prüfungsangst, darum hatte ich ja mit sechzehn die Schule abgebrochen.
Und außerdem war da die Sache mit der Kupplung und der Gangschaltung. Als Tissi und ich noch beide bei Mama wohnten, hatte mich mal einer ihrer Verehrer hinter sein Lenkrad gelassen. Er meinte, ich dürfe ein bisschen mit dem Zündschlüssel spielen, während er meiner Schwester die Unterbodenschmierung zeigt, oder so ähnlich. Ich startete den Motor und legte einen Gang ein. Das Geräusch ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Das lag daran, dass ich vergessen hatte, die Kupplung zu treten, und das dürfe man nie! nie! nie! vergessen, wie Tissis Verehrer mir hinterher mit Gebrüll einimpfte. Tissi sprach zwei Monate lang kein Wort mit mir.
Für mich kam also nur ein Automatikauto infrage. Ich fand eines um zweitausend Euro, Baujahr zweiundachtzig, hundertdreißigtausend Kilometer drauf. Das war viel, ich kaufte es aber trotzdem, es war genau der Betrag, den ich aufbringen konnte. Die hundertfünfzig Euro für die Anmeldung stahl ich Mama aus ihrer Wäschelade. Anfangs habe ich mich auch geschämt dafür. Als ich aber draufgekommen bin, dass das ganze Autofahren nur Stress bedeutete und mir null Spaß machte und ich – selbst wenn ich Raucherin wäre – es nie schaffen würde, mit einer Zigarette in der Hand zu fahren, habe ich mich nicht mehr geschämt. Denn ich benutzte den Fiat für nichts anderes, als Mama auf ihren Sonntagsausflug und wieder zurückzubringen.
Mist, drei Tassen Kaffee waren eindeutig zu viel, wenn man danach stundenlang nicht aufs Klo konnte. Ich spähte aus sämtlichen Fenstern in alle Richtungen. Hinter mir war der Feldweg, vor mir die Hütte, links und rechts Büsche und Bäume. Vorsichtig schnallte ich mich ab, dann öffnete ich im Zeitlupentempo die Autotür. Die Hüttentür ließ ich währenddessen nicht aus den Augen. Auch nicht die Fenster, doch das war eigentlich unnötig, ich hatte die Fensterläden noch nie geöffnet gesehen.
Ich rutschte vom Sitz und ließ mich aus dem Auto auf die Wiese gleiten, actionfilmreif. Dort blieb ich eine Minute lang auf dem Hintern sitzen, mit zugedrückten Augen, jede Sekunde das Donnerwetter erwartend. Alles blieb still, nur die Vögel zwitscherten. Ich kam mir vor wie Bruce Willis, als ich über Gras und Erde kroch, halb auf den Knien, halb auf dem Bauch. Die Angst vorm Erwischtwerden war plötzlich übermächtig, ich richtete mich ein wenig auf und hechtete ins erstbeste Gebüsch. Es dauerte sicher eine Viertelstunde, bis ich endlich locker genug war, um pinkeln zu können. Wäre Bruce Willis wohl nicht passiert.
Ich zog die Hose hoch und wartete. Kam vielleicht doch noch ein Donnerwetter? Kaum zu glauben, dass Mama nichts bemerkt hatte. Ein bisschen Neugierde kroch jetzt trotz der Aufregung in mir hoch; was war dort in der Hütte, das meine Mutter derart ablenkte? Wahrscheinlich ein Mensch, oder? Jemand, den sie seit sechs Jahren besuchte und von dem niemand wissen durfte. Mama hatte mir am allerersten dieser Sonntage verboten, mit irgendjemandem darüber zu reden, vor allem nicht mit Tissi.
Anfangs war ich richtig stolz darauf gewesen, als Einzige in ihr Geheimnis eingeweiht zu sein. Obwohl ich ja streng genommen ganz und gar nicht eingeweiht war. Irgendwann hat der Stolz sich verflüchtigt, doch auch
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