Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Art Reinigungsalkohol abgerieben. Sie trug dieselbe Aufschrift auf der Stirn wie Lilian: » Unerwünscht«. Aber sie lag in Embryonalstellung da, nicht gerade auf dem Rücken wie Lilian. Peder fragte sich, ob das etwas zu bedeuten hatte.
Er dachte auch über das Wort » Unerwünscht« nach. Er hatte sich auch schon mit Alex darüber unterhalten. » Unerwünscht« und » sich dagegen wenden«– das waren Ausdrücke, die in ihren Ermittlungen immer wieder aufgetaucht waren, obwohl sie auf beide Kinder mitnichten zuzutreffen schienen.
Peder kam nur langsam vorwärts. Er fühlte sich furchtbar. Die Idee, zu dem amerikanischen Profiler Kontakt aufzunehmen, war ihm so naheliegend erschienen, und sein Bekannter war ihm wirklich ein guter Türöffner gewesen. Doch inzwischen war Peder sich nicht mehr so sicher. Die Zeit, die er in die Fahrt zur Uni und wieder zurück investiert hatte, würde sich möglicherweise als verschwendet erweisen. Peders Freund war davon ausgegangen, dass der Mann sich nach seiner Vorlesung Zeit nehmen würde, um mit Peder zu reden, doch er war überraschend kalt und abweisend gewesen. Obwohl ihr Fall in Peders Augen echt harter Tobak war, hatte der Amerikaner es offenbar völlig daneben gefunden, dass Peder einfach aufgetaucht war, um Fragen zu stellen. Er hatte sich nicht für diesen komischen schwedischen Kriminalfall engagieren, sondern schnell zu seinem Mittagessen kommen wollen.
Leider hatte er damit auch alle Vorurteile bestätigt, die Peder sowohl gegenüber Profilern als auch gegenüber Amerikanern hegte. Dumm, träge und sozial unterbelichtet. Unangenehme Typen. Peder hatte den Mann quasi mit seiner Visitenkarte beworfen und war dann davonmarschiert. Idiot.
Langsam löste sich der Stau auf. Peder ließ den Fuß auf dem Gaspedal schwerer werden und steuerte geradewegs auf das Polizeihaus zu.
Da klingelte sein Handy.
Zu seinem großen Erstaunen war es der Amerikaner.
» Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie so barsch abweisen musste«, sagte er entschuldigend. » Aber wenn ich Ihnen und Ihren Kollegen meine Hilfe angeboten hätte, dann gäbe es über kurz oder lang keinen einzigen Studenten mehr, der es nicht für selbstverständlich hielte, meine Dienste ebenso in Anspruch nehmen zu können, und das ist ehrlich gesagt nicht der Anlass für meine Gastvorlesungen.«
Rief der Mann jetzt an, um ihm doch zu helfen, oder einfach nur, um sich zu entschuldigen? Peder war ratlos und wusste nicht, was er erwidern sollte, aber da fuhr der andere schon fort: » Ich will damit sagen, dass ich Ihnen gern helfen will. Vielleicht könnte ich ja zu Ihnen ins Büro kommen, wenn dieses Lunchmeeting, an dem ich teilnehmen muss, vorbei ist?«
Peder musste grinsen.
Alex wusste erst nicht recht, was er davon halten sollte, als Peder anrief und ihm mitteilte, dass der Profiler, den er kontaktiert hatte, im Lauf des Tages bei ihnen vorbeikommen würde. Dann aber entschied er, dass es nicht schaden konnte. Sie waren für jegliche Hilfe, die sie kriegen konnten, dankbar. Außerdem würde Fredrika in ungefähr einer Stunde aus Umeå zurück sein.
Alex drehte seine kleinen Skizzen in der Hand. Zumindest hatte er jetzt ein Muster. Der Mörder entführte und tötete Kinder und legte sie dann an Orten ab, zu denen ihre Mütter in irgendeiner Beziehung standen. Und das alles in rasender Geschwindigkeit.
Alex fragte sich, warum die Kinder mit so wenigen Tagen Abstand verschwunden waren. Der Mörder war ein enormes Risiko eingegangen, indem er zwei so schwere Verbrechen so dicht aufeinanderfolgend begangen hatte. Oder besser gesagt: drei, wenn man die Frau in Jönköping mit hinzuzog.
Es gab natürlich richtiggehende Psychofälle, die mit nichts anderem rechneten, als dass sie gefasst würden, die sich mitunter sogar nichts lieber wünschten als das. Aber hatten sie es derzeit wirklich mit einer solchen gestörten Persönlichkeit zu tun?
Wieder dachte Alex über die Orte nach, an denen die Kinder aufgefunden worden waren. Im Grunde spielte es keine Rolle, dass sie nicht genau wussten, was Sara Sebastiansson in Umeå getan oder wen sie dort getroffen hatte. Wesentlich war eigentlich nur, dass sie davon ausgehen konnten, dass der Ort eine bestimmte Bedeutung für Sara hatte und dass sich daraus in gewisser Weise erklärte, warum ihr Kind ausgerechnet dort und nicht in Stockholm abgelegt worden war.
Die Wahrheit war oft viel einfacher, als man zunächst dachte; das hatte Alex im Lauf der Jahre lernen müssen.
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