Aschenputtel: Thriller (German Edition)
müssen«, sagte sie, » aber wir müssen für die Ermittlungen alles wissen.«
Sara nickte. Und weinte tonlos.
» Wusste irgendjemand, was Sie in Umeå vorhatten?«
Sara schüttelte heftig den Kopf. » Niemand«, schluchzte sie. » Nicht einmal Maria, die ja mit bei dem Schreibkurs war. Ich habe es keiner Menschenseele verraten. Und es ist jetzt das erste Mal, dass ich überhaupt darüber spreche.«
Es tat Fredrika weh. Saras Wohnzimmer kam ihr plötzlich eng und klein vor.
» Deshalb haben Sie dafür gesorgt, dass Sie länger in Umeå bleiben konnten als Maria?«
» Ich konnte das ja wohl kaum machen, während Maria noch in der Stadt war«, seufzte Sara. Sie wirkte plötzlich sehr müde. Dann richtete sie sich auf.
» Es wäre mir wichtig, dass meine Eltern nichts davon erfahren«, sagte sie mit einem Zittern in der Stimme.
» Ich kann Ihnen versichern, dass wir das hier nicht weitertragen werden.« Fredrika hoffte inständig, dass sie nicht Lügen gestraft würde.
Dann fragte sie noch einmal: » Sie haben wirklich niemandem davon erzählt? Auch nicht Ihrem Freund? Und es gab niemanden, der etwas wusste oder ahnte?«
Sara schüttelte den Kopf.
» Ich habe es keinem Menschen gesagt«, sagte sie entschieden. » Nicht einem einzigen.«
Aber einer wusste es trotzdem, dachte Fredrika. Ein Mensch– ein böser Mensch– hatte davon erfahren.
Ohne groß darüber nachzudenken, beugte sie sich vor und legte Sara tröstend die Hand auf die Schulter. Fast wie die Seelenklempnerin, die sie doch nie hatte sein wollen.
Ellen Lind musste kein schlechtes Gewissen haben, weil sie früher nach Hause ging als die anderen. Die entscheidende, die wirklich wichtige Arbeit in der Ermittlergruppe hatten ohnehin die anderen übernommen.
Bereits in ihrer Kindheit war Ellen das klassische Schattenkind gewesen: als jüngste im Schatten ihrer älteren und erfolgreicheren Geschwister– und im Schatten ihrer beliebten, erfolgreichen Eltern. Ihr war nur allzu bewusst, dass sie das Ergebnis eines Unfalls war, während die älteren Geschwister allesamt Wunschkinder waren. Bruder und Schwester waren nach lieben Verwandten benannt worden; ihr eigener Name jedoch fiel aus der Familientradition heraus.
Das Gefühl, Außenseiterin zu sein, war schnell sehr stark und dauerhaft geworden. Ellen war wie aus der Art geschlagen, sie sah sogar ganz anders aus: Sie hatte andere Proportionen und gröbere Gesichtszüge. Ihre Geschwister waren hoch aufgeschossen, hübsch und hatten schon früh sehr weltgewandt gewirkt– nicht so Ellen.
All das hatte Ellen jedoch schon vor langer Zeit abgetan. Jetzt, als erwachsene Frau mit eigener Familie, waren ihre Eltern und Geschwister für sie kaum mehr als entfernte Verwandte.
Diese Erfahrung machte es Ellen leicht, mit ihrer Außenseiterposition im Büro umzugehen. Sie war es gewohnt, außen vor zu sein, nicht richtig dazuzugehören. Fredrika und sie hatten immer wieder einmal ein paar freundliche Worte gewechselt, damals, als Fredrika neu in die Gruppe gekommen war. Aber richtige Freundinnen waren die beiden nicht geworden. Ellen fand das schade; sie war überzeugt davon, dass Fredrika und sie gut miteinander auskommen würden.
Doch als sie an diesem Samstagabend nach Hause ging, dachte Ellen weder an die Arbeit noch an Fredrika. Sie dachte an Carl und an ihre eigenen Kinder. Aber hauptsächlich an Carl.
Es machte sie traurig, dass er weder an diesem noch am vorangegangenen Tag auf ihre SMS geantwortet hatte. Auch war er nicht ans Telefon gegangen, als sie angerufen hatte. Sie war nicht einmal bis zu einem Anrufbeantworter vorgedrungen, sondern hatte von einer eintönigen Computerstimme lediglich die Mitteilung erhalten, dass » der Teilnehmer im Augenblick nicht erreichbar« war.
Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Ellen versuchte, ihre Nervosität im Zaum zu halten. Gerade erst hatten sie es doch so gut gehabt. Sie wusste, dass sie nach ihrer gescheiterten Ehe empfindlich war, was Beziehungen anging. Sie reagierte schnell paranoid, und eine unattraktivere Eigenschaft konnte man auf dem Beziehungsmarkt kaum besitzen.
Sie fühlte, wie ihr der Brustkorb eng wurde. Ein paar tiefe Atemzüge verschafften ihr eine kurze Erleichterung, doch kurz darauf hatte sie Bauchschmerzen.
Natürlich war das idiotisch. Es würde eine ganz normale Erklärung für sein Schweigen geben. Sie konnte schließlich nicht erwarten, dass Carl jederzeit für sie zur Verfügung stand.
Unwillkürlich musste Ellen über sich
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