Aschenputtel: Thriller (German Edition)
nicht, die wenige Meter entfernt von ihm dastand und ihn anstarrte, er antwortete nicht auf das, was er soeben gehört hatte. Die Zeit blieb einfach stehen, und der Boden unter seinen Füßen tat sich auf.
Wie zum Teufel hatte ich das übersehen können?
Als Hugo Paulsson keine Reaktion von Alex Recht erhielt, fuhr er fort: » Sie wurde gegen ein Uhr nachts vor der Notaufnahme des Krankenhauses hier in Umeå gefunden. Es hat eine Weile gedauert, bis wir sie eurer Vermisstenanzeige zuordnen konnten. Wir haben hier oben noch ein anderes Mädchen, das weggelaufen ist, wissen Sie, und wir wollten erst sicherstellen, dass es sich nicht um das andere handelt.«
» Lilian ist nicht weggelaufen«, erwiderte Alex tonlos.
» Nein, natürlich nicht«, sagte Hugo Paulsson. » Wie auch immer, jetzt wisst ihr, wo sie ist. Oder besser gesagt, wo sie höchstwahrscheinlich ist. Es muss sie natürlich noch jemand identifizieren.«
Alex nickte nur, als er da im Flur stand und darauf wartete, dass die Zeit sich wieder in Bewegung setzte.
» Ich melde mich bei euch, wenn ich weiß, wie wir weiter verfahren«, sagte er schließlich.
» Alles klar«, sagte Hugo Paulsson. Und dann fügte er langsam hinzu: » Ich weiß ja nicht, ob das eine Rolle spielt, aber die Kleider des Mädchens haben wir nicht gefunden. Und es war kahl rasiert.«
Fredrika Bergman erhielt die Nachricht, dass aus der Ermittlung um die verschwundene Lilian ein Mordfall geworden war, über ihr Handy. Alex selbst rief sie an, und sie konnte an seiner Stimme hören, dass er erschüttert war. Sie selbst verspürte eine völlige Gefühlsleere. Alex bat sie, noch einmal Teodora Sebastiansson zu besuchen und dann mit so vielen Leuten wie möglich zu reden, deren Namen und Adressen sie von Sara Sebastianssons Eltern erhalten hatten. Das musste einfach Klarheit darüber bringen, warum das Kind ausgerechnet in Umeå wieder aufgetaucht war.
Erst als Fredrika das Gespräch beendet hatte und zum Fenster hinausschaute, wo es aussah, als würde der Sommer zu einem weiteren Regentag einladen, fing sie an zu weinen. Sie war zutiefst erleichtert, dass sie bei geschlossener Tür allein in ihrem Zimmer saß.
Wie um Himmels willen konnte das Mädchen tot sein?
Von allen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, gab es eine, die besonders laut war: Was zum Teufel mache ich hier? Wie, dachte sie, bin ich nur an diesen fürchterlichen Arbeitsplatz mit diesen fürchterlichen Aufgaben geraten?
In diesem Augenblick fehlte nicht mehr viel, und Fredrika hätte Alex angerufen und gesagt: » Du hattest recht. Ich bin für das hier nicht gemacht. Ich bin zu schwach. Ich hasse Geschichten, die nicht glücklich ausgehen. Und unglücklicher als das hier, das geht doch gar nicht. Ich gebe auf. Ich habe hier nichts mehr zu suchen.«
Fredrika strich sich mit den Fingern über die Narben auf ihrem rechten Arm. Die Zeit hatte die Operationsmale zu weißen Strichen ausgeblichen, nichtsdestotrotz waren sie für jeden sichtbar. Und für Fredrika waren sie nicht nur eine tägliche Erinnerung an das Unglück, sondern auch an das Leben, aus dem nichts geworden war. Das Leben, das sie nie bekommen hatte.
Fredrika wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und putzte sich die Nase. Wenn sie in ihrem derzeitigen Zustand weiter in diese Richtung dachte, dann würde sie ganz sicher nicht arbeiten können. Sie war müde und unendlich erschöpft. Der Urlaub war nur wenige Wochen entfernt.
Sie schüttelte den Kopf. Nicht jetzt, sagte sie zu sich selbst, nicht jetzt. Wenn sie jetzt alles hinwarf, würde das den Ermittlungen mehr schaden als nutzen.
Aber später, wenn der Fall aufgeklärt ist.
Dann gehe ich.
Fredrika schnäuzte sich noch einmal. Zerknüllte das Taschentuch in der Hand. Warf es in Richtung Papierkorb. Traf nicht, ließ es auf dem Fußboden liegen.
Warum nur wollte das Bild sich nicht scharfstellen lassen?
Es war kaum acht Uhr, als Fredrika an ihrem Schreibtisch saß. Die Gedanken flogen ihr wie Blitze durch den Kopf. Sie war gern bereit zuzugeben, dass sie nicht an vielen Ermittlungen teilgenommen hatte, aber sie besaß doch eine gewisse analytische Kompetenz. Wenn man bedachte, wo sich die Ermittlung um Lilian Sebastianssons Verschwinden jetzt befand, sollte es für Fredrika nicht schwer sein, das Puzzle zu legen, das vor ihr lag. Aber irgendetwas fehlte. Sie konnte es im ganzen Körper spüren, es aber doch nicht benennen. Hatten sie etwas übersehen? Gab es etwas, das sie früher hätten
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