Aschenputtelfluch
Abschiedsbrief.«
Abschiedsbrief? Davon hatte niemand etwas gesagt.
»Also, bitte pass auf dich auf«, hörte ich Mammi besorgt sagen.
»Ich komm schon klar.«
»Sonst hole ich dich sofort nach Hause. Ich war ja immer dagegen, dass du diese Schule besuchst. Hier hättest du es so bequem. Jasper hat auch schon angerufen und gefragt, wie es dir geht.«
»Ich pfeif auf Jasper.«
»Warum sagst du nicht, was zwischen euch war? Jahre lang seid ihr die besten Freunde – und dann plötzlich . . .«
»Glaub mir Mammi, das möchtest du nicht wissen. Hör zu, ich kann jetzt nicht länger telefonieren. Ich muss noch Hausaufgaben machen. Und mach dir keine Sorgen.«
Sie seufzte. »Ich kann meine einzige Tochter nicht ver stehen . . .«
»Tschüss Mammi, schlaf schön und grüß Daddy.«
Schnell, bevor sie noch antworten konnte, beendete ich das Gespräch und schaltete das Handy ab.
Mobbing? Deswegen springt doch keiner vom Dach! Da wären ja alle Schulen leer gefegt.
Meg war noch nicht im Zimmer. Das war ungewöhnlich. Normalerweise machte sie vor dem Schlafengehen ihre Sportübungen. In diesem Punkt war sie total der Streber.
Ich klappte den Laptop auf. Wir sollten als Hausaufgabe im Internet etwas zum Thema Gravitation recherchieren. Vom Flur drangen die allabendlichen Geräusche herein, an die ich mich langsam gewöhnte. Nicht wie zu Hause, wo es immer so still war, als gäbe es kein Leben auf dem Pla neten der Familie Sanden. Doch ich konnte mich nicht konzentrieren und ging stattdessen auf Youtube, um Mu sik zu hören.
He, jemand war angemeldet!
Cinderella1991.
Cinderella?
Mein Verstand schaltete in den Turbogang. Die Gedan ken überschlugen sich. Mein Herz legte vor Aufregung ei nen Zahn zu.
Okay, diesen Laptop hatte vor mir jemand anders be nutzt. Jemand, der sich Cinderella nannte. Konnte das möglich sein? Hatte er Kira gehört?
Cinderella!
Meg hatte sie irgendwann so genannt.
Cinderella, das war Kiras Spitzname gewesen.
Wahnsinn! Kira hatte mit diesem Gerät gearbeitet. Sie hatte mit Sicherheit Spuren hinterlassen. Man hinterließ immer Spuren. Das wusste ich von Jasper.
Neugierig rief ich die Playlist auf. Klar – da waren sie, die Videos.
Mist! Die Tür klappte. Meg kam ins Zimmer. Ich hatte keine gesteigerte Lust, dass sie erfuhr, wie sehr ich mich für Kira interessierte. Ich klappte den Laptop zu und ver tiefte mich in mein Physikbuch.
Dass Megs Stimmung irgendwie explosiv war, spürte ich sofort. Schon wie sie die Tür vorsichtig in Schloss zog – das sah nach Verschwörung aus. Und entgegen ihrer sons tigen Gewohnheiten kam sie jetzt auf meine Seite und ließ sich auf dem Bett nieder.
Ihre roten Locken leuchteten im schwachen Licht der Lampe und ihre Augen waren von einem dunklen Grün. Sie trug ihre Sporthose und einen eng anliegenden schwarzen Fleecepullover.
»Ich habe mit den anderen gesprochen.«
»Und?« Ich hatte keine Ahnung, was sie wollte.
»Hast du deine Sportsachen da?«
»Wozu?«
»Frag nicht so viel.«
»Aber . . .«
»Also, was ist? Willst du oder willst du nicht? Du be kommst nur einmal diese Chance.«
»Wie soll ich etwas wollen, von dem ich gar nicht weiß, was es ist?«
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Schalt ihn einfach ab, okay!«
»Wen?«
»Deinen Verstand, Miss Klugscheißer! Wen sonst? Bei manchen Sachen ist er einfach im Weg. Und jetzt beant worte mir folgende Frage: Liebst du das Abenteuer?«
Liebte ich das Abenteuer? Keine Ahnung. Aber die Frage zu verneinen, das war unmöglich. Das würde meinen Ruf in Ravenhorst ruinieren. Sie hatte mich eben erst Klug scheißer genannt. Mit diesem Spitznamen wollte ich hier nicht enden.
»Klar.«
»Willst du Grenzen überschreiten?«
Das klang gefährlich, aber . . . »Logisch.«
»Dann komm mit!«
»Mitkommen? Wohin?«
»Wirst du schon sehen. Zieh dich an.«
»Jetzt? Frau Sturm kommt doch gleich . . .«
»He, du hast nur diese eine Chance, die kriegt jeder von den Novizen, also vermassle sie nicht. Zieh deine Sportsachen an und überlass den Rest mir.«
Im nächsten Moment sprang ich aus dem Bett. Meine Sportklamotten lagen in der Tasche unter dem Bett. Ich zog sie hervor und schlüpfte in die Trainingshose, das T - Shirt und die Schuhe.
»Du brauchst einen Pulli«, meinte Meg und warf einen Blick auf die Uhr. »Beeil dich!«
Ich zog den Schrank auf und nahm die rote Sweatshirtja cke heraus.
»Geht nicht«, Meg schüttelte entschieden den Kopf. »Ge nauso gut könntest du eine
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