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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz
Autoren: Kathleen Weise
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bisschen fremd vor. Als hätte ein Alien die Steuerung über meinen Körper übernommen und ich schaue von außen zu, wie mein Körper sich bewegt.
    Es vergeht eine ganze Weile, bis uns eine weitere Krankenschwester mitteilt, man hätte in der Hosentasche des Mädchens ein Handy gefunden und darüber die Familie angerufen. Sie sagt, dass der Name des Mädchens Nina ist, und plötzlich hat die Eisprinzessin einen Namen, und ich frage mich, was aus ihr wird, wenn sie erwacht.
    Feen verwandeln sich in Amazonen, aber was wird aus Prinzessinnen?
    Die Zeit dehnt sich wie ein Gummiband. Innerhalb dieses Raums gibt es nur Billys tiefe Atemzüge und meinen Schatten, der misstrauisch seinen belauert. Auf einmal wundere ich mich gar nicht mehr, dass Großmutter uns nach Elsas Überfall nicht angerufen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, jetzt irgendwen anzurufen. Wie sollte ich in Worte fassen, was mir durch den Kopf geht?
    Irgendwann sage ich zu Billy: »Ich gehe mir noch einenBecher Tee holen«, obwohl der zu meinen Füßen immer noch halb voll ist, und er drückt mir wortlos zwei Euro in die Hand, denn ich habe ja gar kein Geld dabei. Mein Portemonnaie liegt auf dem Küchentisch, weil Mutsch sich am Morgen von mir Kleingeld zum Einkaufen geborgt hat. Ob sie meine Nachricht schon gehört hat? Oder sitzt sie immer noch mit ihrer Freundin im Café und trinkt Radler?
    Der Flur ist beinahe leer, suchend sehe ich mich um. Wahrscheinlich mache ich einen recht verwirrten Eindruck, denn nach einer Weile spricht mich ein Pfleger an, der wissen will, ob er mir irgendwie helfen kann. Ich lasse mir den Getränkeautomaten zeigen, und der Blick des Mannes wird ganz mitleidig. Keine Ahnung, ob wegen des Tees, den ich in mich reinschütten will, oder weil er weiß, dass ich hier bin, um auf jemanden zu warten.
    Vermutlich sieht er jeden Tag Dutzende Leute, die verzweifelt an diesem Automaten stehen und darauf warten, dass ihnen irgendwer mitteilt, wie es ihren Liebsten geht.
    Wie betäubt, die Hand schon am Geldschlitz, stehe ich vor der blinkenden Maschine und kann mich nicht entscheiden, ob ich statt Papptee doch lieber Pappkaffee will oder ob ich die Gelegenheit ergreifen und mich aus dem Staub machen sollte, um Billys Aufmerksamkeit zu entfliehen. Wieder friert die Zeit ein, bis mir jemand sanft das Geldstück aus den Fingern nimmt und es in den Schlitz steckt. Ein Finger drückt auf eine der vielenleuchtenden Tasten, und schon gurgelt das Wasser durch den Automaten.
    Langsam drehe ich den Kopf zur Seite.
    Und halte die Luft an.
    Neben mir steht ein Junge. Wahrscheinlich so alt wie ich, vielleicht ein bisschen älter. Kaum größer als ich. Braunes Haar fällt ihm in die Stirn, nicht gerade mein Lieblingslook. Aber das ist vollkommen egal, denn sein Gesicht ist das eines Hexers – ein Blick genügt und ich bin gebannt.
    Es ist fein geschnitten, beinahe zart, mit großen grauen Augen, ein dunkler Ring in der Iris fasst das Nebelgrau ein. Mit seiner Statur könnte er leicht zur Zielscheibe für die Schulidioten werden, sportlich, allerdings eher klein; aber ich bin mir sicher, dass ihm noch nie jemand den Rucksack von der Schulter gestoßen hat. Denn in diesem Blick liegt eine Unnachgiebigkeit, die wie ein Schutzwall wirkt.
    Schnappend hole ich Luft und sehe hastig zur Seite. Doch es ist zu spät, sein Gesicht hat in mir eine seltsame Empfindung ausgelöst, beinahe schmerzhaft, und ohne es zu wollen, muss ich ihn wieder ansehen. Blasse Sommersprossen auf der Nase, volle Lippen und schneeweiße Haut, die so weich aussieht wie Pulverschnee.
    Wie Eis.
    Plötzlich weiß ich, wer er ist, ohne dass er auch nur ein einziges Wort sagen muss, denn diese seltsame Schönheit habe ich schon einmal gesehen.
    Er ist Ninas Bruder. Er muss es einfach sein.
    Noch immer sagt er nichts, steht nur da, die Hände in den Jeanstaschen, und sieht mich auf diese rätselhafte Weise an. Er muss mich für verrückt halten.
    Um den Hals trägt er ein Lederband mit einem Silberanhänger. Sein weißes Hemd mit den feinen hellblauen Karos steht ein paar Knöpfe offen, darunter trägt er ein einfaches T-Shirt, und meine Fingerspitzen zucken, denn ich würde ihn gern berühren, sehen, ob seine Haut so zart ist, wie sie aussieht.
    Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück, weil ich mich selbst kaum wiedererkenne. Was soll ich zu ihm sagen? Weiß er, dass ich es war, die seine Schwester gefunden hat? Warum steht er jetzt neben mir, müsste er nicht bei ihr sein?
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