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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz
Autoren: Kathleen Weise
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Vielleicht kann er es auch nicht ertragen, einfach nur rumzusitzen und zu warten, wenn sich gerade die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat.
    Da sagt er plötzlich: »Dein Tee«, und selbst seine Stimme klingt sanft.
    »Was?«
    »Tee.« Er deutet auf den Pappbecher, der hinter der Luke vor sich hin dampft und die Glasscheibe beschlägt. Wie hypnotisiert greife ich danach und trete den Rückzug an.
    Panisch überlege ich, was ich zu ihm sagen soll. Dass es mir leidtut? Was soll das schon bringen?
    »Tobi!«, klingt es da vom Ende des Flurs, und er wirft einen kurzen Blick über die Schulter. Dort steht einMann, hochgewachsen und schmal, mit dunklem, beinahe schwarzem Haar und heller Haut. Seine steife Haltung erinnert mich an Großmutter, wenn sie wieder einmal auf uns herabsieht. Der Mann winkt ungeduldig, und der Junge – Tobi – geht langsam zu ihm zurück, doch nach ein paar Schritten dreht er sich noch einmal um, und in diesem Augenblick weiß ich, dass ich sein Gesicht nie wieder vergessen werde.
    Dieser Bann ist für immer.
    Aufgewühlt laufe ich den Gang entlang, bis ich in das Zimmer stolpere, in dem Billy noch immer auf mich wartet. Dabei schwappt mir heißer Tee über die Finger.
    »Mist!«, entfährt es mir. Ich setze mich wieder auf meinen alten Platz, Pappbecher Nummer zwei leistet seinem Vorgänger zwischen den Stuhlbeinen Gesellschaft, und auch mein Schatten ist zurück, hockt wieder zusammengeschrumpft zwischen meinen Füßen wie ein Häufchen Elend.
    »Die Polizei war da«, sagt Billy. »Sobald deine Mutter hier ist, um dich abzuholen, würde gern ein Beamter mit dir reden.«
    »Sie müssen nicht bei mir bleiben. Ich komme klar.«
    »Schon okay so.«
    Er wird nicht gehen, da bin ich mir sicher. Ich sage mir, dass die Polizei ihn wahrscheinlich nicht mit mir allein in diesem Raum gelassen hätte, wenn sie wirklich glauben würden, dass er der Täter ist, oder? Irgendwie fehlt mir mehr und mehr die Kraft, um ängstlich zu sein,denn auf einmal bin ich erschöpft wie nach einem stundenlangen Waldlauf. Ich stütze einen Fuß auf die Sitzfläche und lege das Kinn aufs Knie. Für eine Weile schließe ich einfach die Augen, denke an den geheimnisvollen Jungen, und lausche den Geräuschen, die vom Flur zu uns hereindringen.
    So sitzen wir da, bis ich meinen Namen höre und Mutsch ins Zimmer gestürmt kommt. Inzwischen schaffe ich es nicht einmal mehr aufzustehen, deshalb strecke ich ihr nur die Arme entgegen und lasse mich in ihre Umarmung fallen. Sie rutscht auf den Platz neben mir, und ein paar Augenblicke lang halten wir uns fest umschlungen. Dann macht sie sich vorsichtig von mir los und legt mir die Hand an die Wange.
    »Alles in Ordnung?«, fragt sie, und wieder einmal nicke ich, als wäre das die einzige Art, in der ich sprechen könnte.
    Skeptisch huscht ihr Blick über mein Gesicht, wahrscheinlich bin ich ganz käsig und hab Dreck auf den Wangen, aber wenigstens blute ich nicht. Mütter sind für so was ja schon dankbar. Ich grinse schief, aber sie runzelt nur die Stirn, weshalb ich es lieber bleiben lasse.
    Als Mutsch aufsieht, entdeckt sie Billy, der aufgestanden ist und uns etwas unschlüssig beobachtet. Sie gibt ihm nicht die Hand. Stattdessen sieht sie ihn mit einem Blick an, mit dem sie Eisen schneiden könnte. Das letzte Mal, als sie jemanden auf diese Weise angesehen hat, wollte sie von Herrn Jochen wissen, ob sie erst unserenBullterrier auf ihn hetzen soll, bevor er endlich die Rechnung begleicht, die sie ihm gestellt hat. Dabei haben wir gar keinen Hund. Aber das hat Herr Jochen schließlich nicht gewusst.
    »Hallo, Billy«, sagt sie kühl, und er antwortet: »Susan.«
    »Ihr kennt euch?« Überrascht sehe ich zwischen ihnen hin und her, und widerwillig nickt Mutsch. Mich überkommt ein komisches Gefühl, so wie sie sich ansehen.
    »Wenn ihr irgendwie Hilfe braucht …«, fängt Billy an, aber da springt Mutsch auch schon auf und zieht mich vom Sitz, wobei ich mit der Fußspitze einen Becher umschmeiße. Der Tee läuft in einem kleinen Rinnsal über den Boden, aber das kümmert Mutsch nicht.
    »Danke, wir kommen schon zurecht«, murmelt sie, und ich stehe ein bisschen hilflos da, weil ich noch irgendwas Nettes zu Billy sagen will, immerhin hat er mir geholfen und ist die ganze Zeit bei mir geblieben. Und irgendwie schäme ich mich auch, dass ich trotzdem noch nicht genau weiß, ob ich ihm vertraue.
    »Die Polizei will mit ihr reden«, erklärt er Mutsch noch. »Der Typ wartet in der
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