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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz
Autoren: Kathleen Weise
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viele Freunde. Sie ist nicht so der gesellige Typ.« Finster starrt er vor sich hin, und ich frage mich, wie das bei ihm ist. Er macht auf mich auch nicht den Eindruck, als wäre er der reinste Partylöwe, dazu schaut er viel zu ernst.
    »Wenn ich daran denke, was dieser Kerl ihr angetan hat, könnte ich ihn umbringen«, flüstert er und ballt die Hand zur Faust. »Meine Eltern sind gestern völlig ausgeflippt.Sie haben mich angeschrien, wo ich war, als Nina überfallen wurde. Dabei wusste ich nicht mal, dass sie ins Moor gegangen ist.« Er kneift die Augen zusammen und schüttelt den Kopf. »Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen, aber das kann ich eben nicht.«
    Das Monster in seiner Vorstellung ist sicher noch größer als meines.
    »Es ist nicht nur, dass Nina verletzt ist«, fährt er fort, »mein Vater geht nicht arbeiten, er hatte vor Jahren einen Unfall, seitdem ist er berufsunfähig. Nina hat bisher gut Geld verdient, sodass wir über die Runden gekommen sind. Doch jetzt müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Das Haus ist noch nicht abbezahlt und meine Mutter arbeitet nur als Verkäuferin. Ich wollte das Haus nie, Nina auch nicht, es war uns immer viel zu protzig, aber meine Eltern haben eben gedacht, dass das mit Nina gut weitergehen wird, nachdem sie in den ersten Jahren so toll verdient hat. Das ist alles eine Katastrophe …«
    Er hat Schuldgefühle, weil er es nicht verhindern konnte. Genau wie ich. Dabei ist das totaler Blödsinn, was hätten wir auch tun können? Trotzdem kann ich das Gefühl nicht abschütteln.
    »Ich weiß gar nicht, was ich hier eigentlich will«, murmelt er auf einmal und fährt sich mit den Händen durchs Haar. »Sonst bin ich auch nicht der Typ, der alle Familiengeheimnisse ausplaudert.«
    Aber ich bin irgendwie froh, dass er es getan hat, undauch um seinetwillen hoffe ich, dass wir das Rätsel um Elsa und Nina lösen werden. Weil es einfach so sein muss! Damit ihnen Gerechtigkeit widerfährt und Tobi und ich wieder ruhig schlafen können. Man darf den Monstern nicht das Feld überlassen, das wäre feige und einer Melli Beese nicht würdig. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn der eigene Schatten an der Wand sich so weit zusammenkrümmt, dass man darin nicht mal mehr sein Abbild erkennen kann.
    »Wir werden herausfinden, wer dahintersteckt«, verspreche ich ihm, obwohl ich noch nicht so recht weiß, wie wir das anstellen werden.
    Nachdem Tobi wieder gegangen ist, weil die Besuchszeit im Krankenhaus begonnen hat, wird das Wetter mit jeder Stunde besser, als wollte es mich aufheitern. Die Sonne strahlt von einem makellos blauen Himmel herab, und Mutsch beginnt damit, alle möglichen Arten von Kulturstreifen auf ihren Schultern zu züchten, weil sie abwechselnd Bikinioberteile und Spaghettitops trägt.
    In Großmutters angestaubter Büchersammlung finde ich eine Ausgabe von Grimms Märchen , doch aus den Märchen werde ich nicht schlau. Was wollte der Täter damit sagen? Drei Mal lese ich Aschenputtel und Schneewittchen , aber es will mir kein plausibles Motiv einfallen.
    Trotz Elsas Verletzung scheucht Großmutter Elsa und mich nach dem Mittagessen aus dem Haus, als sie michim Wohnzimmer über dem Buch hocken sieht. »Kinder sollten nicht die ganze Zeit drinnen vor dem Computer hocken«, schnauft sie, obwohl meilenweit gar kein Rechner zu sehen ist. Und auch Elsas Hinweis auf ihren Verband hält Großmutter nicht davon ab, uns hinauszuschicken. »Du hast von deinem Arzt zwei funktionierende Krücken bekommen, die kannst du benutzen«, sagt sie nur – und damit ist das Thema beendet.
    Also gehen wir Eis essen und brauchen für den Weg zum Café doppelt so lange wie normalerweise, denn Elsa denkt überhaupt nicht daran, ihre Krücken zu benutzen. Als ich sie im Café frage, ob es ihr nicht zu viel wird, lacht sie nur.
    »Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Freizeit wie diesen Sommer«, erklärt sie und stopft eine weitere Kugel Eis in sich hinein. Seit sie keinen Diätplan mehr einhalten muss, verschlingt sie sämtliche Süßigkeiten, derer sie habhaft werden kann, und Tante Luise hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie bereits drei Kilo zugenommen hat. Aber das scheint Elsa egal zu sein, denn sie bestellt noch eine weitere Portion Schlagsahne für ihren Eisbecher.
    Beinahe wirkt es, als wäre alles vergeben und vergessen.
    Ist es aber nicht.
    Nicht für mich.
    Wenn hinter mir ein unbekanntes Geräusch zu hören ist, drehe ich mich um, weil ich
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