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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Tischen in meiner …« Mir stockte der Atem. Der Riss in der Mauer brach schlagartig auf. Sie kippte um und gab preis, was hinter ihr lag. »Die Tische und Stühle sehen genau so aus wie in meinem Klassenzimmer!«
    Uschasnik bat mich, ihm bitte noch einmal den Boden zu beschreiben. Und am besten auch dessen Geruch.
    Ich kniete mich hin und hielt meine Nase knapp über dem Boden, wo mir das Bohnerwachs Tränen in die Augen trieb, so stechend roch es. Ich wollte Uschasnik gerade diesen Geruch beschreiben, als sich plötzlich alles um mich her veränderte.
    Ich liege jetzt bäuchlings auf dem Boden in meinem Klassenzimmer. Das Linoleum ist nun grau, nicht mehr rot. Das Bohnerwachs sticht immer stärker. Etwas Verbranntes rieche ich, Rauch, riecht wie an Silvester, nach Schwefel und Schießpulver. Der Rauch hängt in dicken Schwaden in der Luft, unbeweglich, wie gemalt. Stühle und Tische sind umgekippt und liegen chaotisch herum. Ich höre nichts, nur ein hohes schrilles Piepsen in meinem Kopf, wie nach einem zu lauten Rockkonzert. Alles ist zäh, ich kann mich nur mühsam bewegen. Ich wende meinen Kopf, unter größter Anstrengung. Ich schaue über meine Schulter nach hinten und sehe Kevin, der ebenfalls auf dem Boden liegt, seine Kapuze hat er sich über den Kopf gezogen, sie ist staubig, seine Hände presst er auf sie. Er schaut mich mit großen, entsetzten Augen an. Er will etwas sagen, aber seine Lippen bewegen sich nur stumm. Ich drehe meinen Kopf in die andere Richtung, muss gegen einen Widerstand ankämpfen, als würde ein Gewicht an meine Schläfe drücken. Dabei sehe ich eine schwarze Gestalt, die gerade durch die Tür nach draußen auf den Flur verschwindet. Sie zieht etwas Schwarzes hinter sich her, sieht aus wie ein Schwanz, ein Teufelsschwanz. Aber es ist ein Gewehr. Alles läuft ab wie in diesem Dokufilm, wo ein Weißer Hai aus dem Wasser springt und eine Robbe fängt. In echt dauerte das nur eine Sekunde, im Film eine Minute. Und dann sehe ich Anne. Sie liegt seitlich auf dem Boden, nicht weit von mir entfernt. Ihre Augen hat sie geöffnet, aber sie blicken ins Leere. Aus ihrem leicht geöffneten Mund läuft ein kleines Rinnsal Blut. Ihre goldenen Haare sind um ihren Kopf gebreitet wie ein Kranz, wie ein Heiligenschein. Mein Blick wandert an ihrem Körper hinab. Ganz von alleine. Ich will es nicht, ich will bei ihren Augen bleiben, weil ich weiß, was ich zu sehen bekomme. Sie trägt ein weißes Kleid. Ihre Hände liegen auf ihrem Bauch, und um sie herum breitet sich ein roter, kreisförmiger Fleck aus. Er wächst unaufhaltsam, frisst sich durch die Fasern ihres Kleides. Unter ihrem Körper quillt Blut hervor und wandert auf dem Boden zu mir. Der graue Boden verfärbt sich dunkelrot. Ich rufe Annes Namen, höre mich selbst aber nicht. Das Piepsen in meinen Ohren übertönt alles. Ich schleppe mich zu meiner Freundin. Ich rüttle an ihren Schultern. Aber sie rührt sich nicht. Ihre Augen blicken weiter ins Leere. Dann werde ich von unbekannten Händen gepackt und weggezerrt. Ich schreie und stemme mich dagegen. Ich will bei Anne bleiben, sie aufwecken. Aber ich werde immer weiter von ihr weggezogen. Ich sehe noch, wie über Annes Körper ein Tuch gebreitet wird, etwas, das wie Sackleinen aussieht.
    Und ab da verändert sich wieder alles.
    Die Farben verschwinden, alles stürzt in sich zusammen, verfärbt sich schwarz, Asche weht von irgendwoher und deckt alles wie ein riesiges Totentuch zu. Ich rieche die Asche, sehe, wie alles zerfällt. Ich sitze alleine zwischen Ruinen und hohen Mauern in einer zugeaschten Welt.
    Ich schrie stopp. So laut ich konnte. Uschasnik bat mich, tief ein und auszuatmen. Und erst dann die Augen zu öffnen. Aber ich riss sie sofort auf und musste meine Hand vor sie legen, weil das Deckenlicht mich blendete, als wäre es ein lang andauernder Blitz. Dann schrie ich Uschasnik an, dass er mich hypnotisiert und manipuliert hatte.
    Â»Nein, Johanna. Du hast gerade eben die Wahrheit gesehen. Die echte, die schreckliche Wahrheit.«
    Â»Anne ist nicht tot!« Meine Stimme schrillte in dem kleinen Zimmer.
    Â»Doch, Johanna. Es ist grausam, ich weiß das. Aber deine Freundin Anne ist an jenem Tag in deinem Klassenzimmer vor deinen Augen schwer verletzt worden und gestorben.«
    Ich schüttelte den Kopf, konnte gar nicht mehr aufhören damit.
    Â»Dieses Erlebnis

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