Aschenwelt
war so stark und überwältigend für dich, dass du es komplett ausgeblendet hast. Du hast es verdrängt. Als Selbstschutz, das ist nichts Ungewöhnliches. Und seitdem lebst du in mehreren parallelen Scheinwelten zugleich. Mitsamt der Vorstellung, dass Anne noch lebendig ist, obwohl das leider nicht stimmt.«
Ich starrte ihn mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an.
»Es tut mir leid, Johanna. Sehr leid. Ich weiÃ, wie sehr du Anne geliebt hast, wie sehr du sie immer noch liebst. Und glaube mir, es wird noch lange wehtun. Weine. Lass deine Tränen laufen â¦Â«
»Aber Anne ist nicht tot!«, schrie ich. »Sie lebt! Sie war doch die ganze Zeit über hier in meinem Zimmer! Alle haben sie gesehen und hallo zu ihr gesagt!«
Uschasnik schüttelte mit traurigem Gesicht den Kopf.
»Und wie hätte ich dann bitteschön vor ein paar Nächten von hier flüchten sollen?« Ein Gefühl der Sicherheit breitete sich in mir aus. Uschasnik belog mich. Er musste lügen. Ich hatte den Beweis.
»Wie sollte ich mitten in der Nacht meine Tür von innen aufbekommen, wenn Anne mir von auÃen nicht geholfen hätte?«
»Johanna. Ich spreche die Wahrheit.« Uschasnik blieb ruhig. »Ich kann es dir beweisen.«
»Wie denn, he?«
»Dazu musst du mit mir in mein Büro kommen«, bat er mich. Das tat ich nur zu gerne. Ich wollte sehen, welchen schwachsinnigen Beweis er vorzubringen hatte, um diesen dann genüsslich vor seinen Augen in der Luft zu zerreiÃen.
Aber soweit musste es gar nicht kommen. Denn auf dem Flur kam mir mein Beweis in Fleisch und Blut entgegen. Endlich. Ich stürzte in Annes Arme, küsste sie, drückte sie und lieà sie nicht mehr los. Uschasnik stand die ganze Zeit neben uns, und ich präsentierte ihm Anne mit einem triumphierenden Lächeln.
Er verzog keine Miene und bat mich in sein Büro. In der hintersten Ecke stand ein Fernseher mit einem DVD-Laufwerk darunter. Beides war letztes Mal noch nicht dagewesen. Ich zog Anne mit mir in Uschasniks Büro hinein und wunderte mich über ihren Widerstand, den sie mir dabei leistete.
»Jetzt komm schon, bitte«, sagte ich. »Die wollen mich hier fertig machen, mich glauben machen, dass ich wahnsinnig bin. Du musst mir helfen!«
Annes Augen waren von Angst getränkt. Ich ignorierte es und zog sie mit mir in das Büro, wo Uschasnik gerade den Fernseher einschaltete.
»Schau bitte ganz genau zu«, forderte er mich auf.
Ich sah schwarzweiÃe grisselige Bilder von meinem Krankenzimmer, jedes mit Datum und Uhrzeit in der rechten unteren Ecke versehen. Es waren stumme Bilder, tonlos. Und ich konnte auf ihnen mich selbst beobachten.
»Sie haben mich gefilmt?« Ich war fassungslos.
»In deinem Zimmer war eine kleine Kamera installiert, ja«, sagte Uschasnik. »Hauptsächlich dafür, dass die Schwestern dich stets im Blick haben konnten.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Mit so etwas Abartigem hatte ich nicht gerechnet. Ich stellte mir vor, wie Uschasnik vor dem Fernseher saà und zuschaute, wie Anne und ich Sex hatten. Das perverse Schwein.
Uschasnik spulte immer wieder vor, zu ganz bestimmten Stellen. Und erst allmählich wurde mir klar, dass an diesen Bildern etwas nicht stimmte. Ich war darauf immer alleine. Auch an jenen Tagen und zu jenen Zeiten, wovon ich ganz genau wusste, dass Anne bei mir war. Aber auf den Bildern war nur ich zu sehen. Ich und die leere Luft, mit der ich redete.
»Sie haben die Bilder manipuliert«, beschuldigte ich Uschasnik und drückte Annes Hand fester. »Hier ist Anne! Sie können sie sehen! Sie können sie sogar anfassen!«
Er reagierte nicht, sondern sagte: »Ich kann keine Bilder manipulieren und so etwas liegt mir auch völlig fern.«
»Dann eben irgendjemand anderes!«
»Warum sollte ich oder auch jemand anderes so etwas tun, Johanna?«
»Was weià ich!« Ich blitzte ihn böse an. »Sie wollen mich fertig machen, mich umerziehen. Irgendso einen ScheiÃdreck eben. Sie stecken mit meinen Eltern unter einer Decke und führen mit mir eine bösartige Gehirnwäsche durch. Keine Drogen mehr, und nicht mehr lesbisch sein!« Ich lächelte ihn siegessicher an. Ich hatte sie alle durchschaut.
»Deine Eltern haben Anne sehr gemocht.«
»Blödsinn! Sie haben sie gehasst!«
»Das stimmt nicht, Johanna. Sie mochten sie sehr. Vielleicht
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