Aschenwelt
Mit der hatte sie noch nie telefoniert und sie auch noch nicht kennengelernt, aber irgendwann war für alles das erste Mal.
Sie hatte kein Glück, es meldete sich niemand. Ist doch auch Blödsinn, die wohnt doch hunderte von Kilometern weit weg! Die Tante. Nadeschda hatte als einzige Familie eine Tante hier in der Stadt. Die Nummer stand als dritte in der Liste. Aber auch dort meldete sich niemand. Jo wählte Nummer für Nummer und erreichte sogar einige. Alles Freunde Nadeschdas, aber niemand wusste etwas, auch nach mehrmaligem Nachhaken nicht.
Irgendetwas stimmte nicht, ganz und gar nicht. Jo wurde flau im Magen, und das lag nicht daran, dass sich langsam der Hunger bei ihr meldete. Sie machte sich inzwischen ernste Sorgen um Nadeschda und hätte ohnehin keinen Bissen hinunterbekommen.
Sie musste etwas tun. Sie konnte nicht hier in Nadeschdas Wohnung hocken und warten, dabei würde sie verrückt werden. Ich muss sie suchen. Ja. Jo zog sich an, schnappte sich den Wohnungsschlüssel und stockte. Warum hatte Nadeschda ihren Wohnungsschlüssel liegen lassen? Hatte sie ihn vergessen? Natürlich! Weil sie nie wieder zurückkommen will! Zu dir!
SEI STILL!
Jo hastete das Treppenhaus hinab und schnappte sich kurzentschlossen Nadeschdas Fahrrad. Zuerst fuhr sie auf den Campus. Doch der lag verlassen da, bis auf Berge von welkem Laub und vereinzelten Studenten, die es sogar an einem Sonntag an die Uni versprengte. Jo fragte jeden einzelnen, ob er Nadeschda gesehen habe, aber keiner konnte ihr helfen.
Als nächstes fuhr sie die Strecke zum Bäcker ab, wobei ihr nichts ungewöhnliches auffiel. Beim Bäcker fragte sie die Verkäuferinnen, ob Nadeschda heute hier war. Sie war sich sicher, dass sie Nadeschda kannten, sie kam schlieÃlich fast täglich hier her, um sich einen Kaffee auf den Weg zur Uni zu holen, auch wenn der Bäcker gar nicht auf dem Weg dorthin lag. Es gab dort laut Nadeschda den besten Kaffee der ganzen Stadt. Aber auch hier konnte ihr niemand helfen.
Wo ist Deschda!
Jo war sich inzwischen sicher, dass ihrer Freundin etwas zugestoÃen sein musste. Ein Unfall. Sie lag verletzt in irgendeinem Krankenhaus. Viele Möglichkeiten gab es hierfür nicht. Jo schwang sich aufs Fahrrad und fuhr so schnell sie konnte ins nächstgelegene Krankenhaus.
Völlig verschwitzt stürzte sie zur Aufnahme und fragte, wo Nadeschda liege und was ihr zugestoÃen sei.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Dame hinter dem Tresen in aller Seelenruhe.
»Meine Freundin. Nadeschda. Ist sie heute hier eingeliefert worden?«
Die Frau blieb gelassen und sagte: »Wenn Sie mir den Nachnamen geben, kann ich für Sie nachschauen.«
Jo musste kurz überlegen, bevor ihr einfiel, wie Nadeschda mit Nachnamen hieÃ. Dabei war es so ein Allerweltsname, oder vielleicht lag es gerade daran.
»Müller!«
»Nadeschda Müller â¦Â« Die Frau schaute in den Bildschirm vor ihr und tippte darauf herum. »Nein, tut mir leid. Wir haben keine Patientin unter diesem Namen.«
»Ganz sicher?«
»Gute Frau. Sollte ich nicht mit Blindheit geschlagen sein, bin ich mir ganz sicher.«
»Okay. Entschuldigen Sie bitte.«
Jo machte sich auf den Weg ins nächste Krankenhaus. Mit demselben Ergebnis. Auch im nächsten konnte man ihr nicht weiterhelfen. Und alle anderen waren zu weit weg, womit es unwahrscheinlich war, dass Nadeschda dort eingeliefert wurde.
Völlig leer und ratlos, was sie nun tun sollte, lieà sich Jo drauÃen vor dem Krankenhaus auf eine Bank sinken.
Nachdenken, Jo. Nachdenken.
Es gab Momente, da hätte sie für eine einzige Zigarette töten können. Jetzt war ein solcher. Doch hätte sie jetzt eine geraucht, wäre der nächste Schritt nicht weit und sie wäre den Drogen wieder hilflos ausgeliefert. Sie musste es schaffen, sich ohne Nikotin zu beruhigen, damit ihr Kopf wieder richtig funktionierte und das Zittern endlich aufhörte, das inzwischen ihren ganzen Körper befallen hatte.
Ich geh jetzt zur Polizei. Mir scheiÃegal.
Jo stand auf, holte einige Male tief Luft, bis das Zittern wenigstens soweit nachgelassen hatte, dass sie wieder Fahrrad fahren konnte.
Bei der Polizei angekommen wollte sie gleich eine Vermisstenanzeige aufgeben.
»Wie lange wird die Person denn vermisst?«
»Seit den frühen Morgenstunden.«
»Heute?«
»Ja, heute.«
Der Polizist seufzte. »Tut mir
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