Aschenwelt
verbranntem Gummi. Nur ein Augenblinzeln später setzte die Wirkung ein.
Mein Gesichtsfeld zog sich zusammen, wurde weggezoomt. Alles wird schwarz, und als ich wieder die Augen öffne befinde ich mich in einem Wald von baumhohen Gräsern, verkohlt und stinkend. Sie wachsen direkt vor meinen Augen im rechten Winkel nach oben, hin zum fahlen Sackleinenhimmel. Ich brauche eine Weile, bis ich bemerke, dass ich mit meinem Gesicht im Gras liege. Ich stehe auf, worauf die Grashalme wieder auf NormalgröÃe zusammenschrumpfen. Von einem nahen Gebäude bricht gerade ein Stück Mauer ab, es kracht und es segelt zu Boden. Im Fallen zerteilt es sich in immer kleinere Stücke, bis auf der StraÃe nur noch eine Staubwolke ankommt. Ich höre, wie die Körnchen auf den Boden rieseln. Von fast jedem Gebäude rieseln verkohlte Mauerbröckchen. Vom Himmel dringt ein Rascheln an mein Ohr. Das sind die Fäden des Sackleinens, die sich ineinander winden, sich dehnen und zusammenziehen. Ich sauge die Luft ein und rieche millionenfach verschiedene Brandgerüche. Verschmortes Gummi, verkokeltes Holz, den Dampf von feuchtbrennendem Gras, blubbernden Teer, glühendes Metall, alles zugleich und doch deutlich voneinander unterscheidbar. Alles wird zu Asche, und ich kann jedes Körnchen davon sehen und riechen. Meine Sinne sind im Ãbermaà geschärft, und ich bin überwältigt von der Unbarmherzigkeit dieser verbrannten Welt.
Ich fühle mich stark. So stark wie nie zuvor in meinem Leben. Unverwundbar. Ich weiÃ, ich kann alles und jeden besiegen, der sich mir in den Weg stellt. Ich spüre, wie die unbändige Kraft durch meine Adern flieÃt, sich ausbreitet, in jede einzelne Zelle, sie stählern macht und mit Energie füllt. Ich schreie es hinaus, hinauf zum Sackleinenhimmel, in die dunklen Ruinenschluchten, sie sollen mich hören, ich bin da. Zum ersten Mal habe ich keine Angst vor den Teufeln der Aschenwelt.
Und so schnell alles geschehen war, so schnell war alles wieder vorbei. Von einem Augenblick auf den nächsten wölbte sich über mir wieder der ekelerregende Sommerhimmel mit den grünen Baumkronen. Die Wattewölkchen lachten mich aus. Das Gras unter meinen FüÃen war wieder grün, auf den StraÃen lärmten die Motoren. Ich sank auf das Gras und blickte mich nach dem Typ um, der mir diesen Wahnsinnstripp beschert hatte. Er war verschwunden. Nirgends zu sehen. Ich war verwirrt und enttäuscht zugleich, konnte aber nicht weiter darüber nachdenken, weil mein Kopf vor piekenden Schmerzen zu bersten drohte. Ich hatte Durst wie nie zuvor. Und Hunger. Unbändigen Hunger. Mir lief sogar das Wasser im Mund zusammen, als in meiner Nähe ein Eichhörnchen einen Baum hinaufflitzte. Ich wollte es essen, und den Baum gleich mit.
Ich kramte in meiner Tasche. Kein Cent war darin. Und meine Geldbörse war verschwunden. Ganz groÃe Klasse. So konnte ich nicht einmal mein Konto plündern, das stets gut gefüllt war, dank meiner Eltern. Was nun? Nach Hause. Auch wenn ich das als letztes wollte. Aber ohne Geld kriegst du in der Stadt nichts zu essen und nichts zu trinken, und schon gar keine Kopfschmerztabletten. Und dann dieses Sonnenlicht. Dieses grelle Licht, das sich in meinen Kopf bohrte, wie ein scharfes Schwert. Es wühlte in meinem Gehirn und machte alles nur noch schlimmer. Ich musste nach Hause. Brauchte Aspirin. Am besten eine ganze Packung. Und Wasser. Nie zuvor hatte ich solches Verlangen nach schnödem Wasser.
Als ich endlich in der Bahn saÃ, vermied ich es, in die fröhlichen Gesichter der Menschen zu schauen. Ich wollte meine Kopfhörer aufsetzen. Laute Musik war das einzige, was gegen diese schmierige Fröhlichkeit allenthalben half. Aber der Aku meines Telefons war leer. Mist. Und wo war eigentlich meine Geldbörse? Hat sie mir jemand geklaut? Vielleicht der Typ, während ich high war? Oder irgendeiner irgendwann in jenen dunklen Stunden, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte? Aber warum war mein teures Telefon dann noch da â¦
Erst einmal raus aus der Bahn, zehn Minuten zu Fuà zur BiedermeierVilla. Kevin, mein Stalker, war nirgends zu sehen. Zu seinem Glück.
Ich schloss die Tür auf und trat in die Empfangshalle, wo ich meiner Mutter in die Arme lief. Sie sah aus wie ich es mir vorgestellt hatte: verheulte Augen und bleich wie mit Penatencreme eingeschmiert. Hinter ihr stand mein Vater. Was tat der denn
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