Aschenwelt
mir denn erzählen?«, fragte sie.
»Später«, sagte ich. »Sei still und leg dich hin.«
Sie tat wie befohlen und ich küsste sie. Ãberall. Es war wie im Rausch â der Duft ihrer Haut, ihre weichen Haare, ihre warmen Lippen â ich sog alles in mich auf. Bis ich erschrak und von ihr wegsprang. Statt Annes Gesicht küsste ich plötzlich den Typ mit der Zahnlücke. Das Bild war nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, aber es genügte, um mich aus der Bahn zu werfen. Ich schüttelte mich und warf mich nochmals auf Anne. Doch das Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder sah ich das Gesicht von diesem Kerl. Ich schloss die Augen, aber es wollte nicht verschwinden. Anne drückte mich weg und fragte, was los sei.
»Ich weià es nicht.«
»Bin ich dir heute nicht hübsch genug?«
»Blödsinn.« Ich runzelte die Stirn. »Wie kommst du denn auf so einen Müll!«
»Dachte nur«, sagte Anne. »Du bist heute so komisch. Gar nicht richtig bei der Sache.«
»Das liegt nicht an dir«, versicherte ich ihr. »Es liegt an diesem Typ.«
»Was für n Typ?«
»Hat was damit zu tun, was ich dir erzählen wollte.«
»Dann erzähls mir doch einfach«, bat Anne. »Vielleicht gehtâs dir danach wieder besser.«
Ich seufzte.
»Na gut. Aber danach machen wir weiter, ja?«
Anne lächelte.
»Ich wollte mich gestern auf dem Grünstreifen mit dir treffen«, begann ich.
»Echt?«
»Ja, echt! Liest du denn meine Nachrichten nicht?«
»Oh. Mein Telefon ist grad kaputt«, entschuldigte sich Anne.
Ich stöhnte. »Kannst du mir das vielleicht mal früher sagen? WeiÃt du, wie oft ich versucht habe, dich zu erreichen, und wie sehr ich dich gebraucht hätte?«
»Wieso denn? Was war n los?«
»Na, ich wollte gestern zum Grünstreifen, und auf dem Weg da hin, bin ich auf Kevin gestoÃen â¦Â«
»Hi hi.«
»Was lachst du?«
»Ich find den nett, den Kevin.«
Ich schaute sie verdutzt an. »Nett? Das ist ein Vollidiot!«
»Sei doch nicht so gemein. Ich find ihn süà â¦Â«
Ich rollte mit den Augen. »Willst du jetzt ne Hete werden oder was?«
»Nein«, wehrte sie sich. »Aber ich darf ihn doch süà finden. Er mag dich und kümmert sich um dich. Daran ist doch nichts verkehrt.«
»Ich mag ihn nicht, und ich will nicht, dass er sich um mich kümmert.« Ich merkte, wie sich ein Streit zwischen uns entwickelte. Das war das letzte, was ich jetzt brauchte.
»Ist ja auch egal.« Ich versuchte, mit ruhigerer Stimme fortzufahren. »Ich bin in die SBahn, und dann ist was geschehen, was ich nicht begreife. Es gab einen Knall, dann wurden die Türen weggerissen, genauso wie die meisten Seitenteile und die Dächer. In kürzester Zeit waren alle Waggons komplett zerstört und die Bahn blieb stehen. Mitten in der verbrannten Welt, wo tausende von kleinen Teufeln auf die Passagiere warteten, um sie auszutrinken.«
»Hattest du was geraucht?«, fragte Anne.
»Nein! Das ist es ja! Es ist einfach so geschehen, mitten am Tag!«
»Seltsam.«
»Noch viel seltsamer ist, was dann kam. Denn das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich vor Uschasniks Praxis aufgewacht bin. Und das war heute, also einen kompletten Tag später.«
»Und was war dazwischen?«, fragte Anne.
»Das weià ich eben nicht!«
»Hast du mit Uschasnik darüber gesprochen?«
»Ja, aber der labert nur ScheiÃe. â Aber ist ja auch egal.« Ich kämpfte die Tränen nieder. »Ich werd schon noch herausbekommen, was mit mir geschieht. Und ich weià auch schon wie.«
Ich atmete einmal tief durch und erzählte ihr, wie ich dann auf unseren Grünstreifen ging, den Typ traf und von der neuen Droge, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellte. Ich erzählte ihr, wie stark und unbesiegbar ich mich währenddessen in der Aschenwelt fühlte.
»Du musst das auch mal probieren. Ist der Hammer!«, versuchte ich Anne zu überreden. Aber Anne zierte sich, sie hatte Angst.
»Eigentlich wollte ich nie Drogen nehmen«, sagte sie.
»Jetzt komm schon. Hab dich nicht so. Ist ganz harmlos, das Zeug.«
Anne grübelte eine Weile. »Ich vertraue dir, Jo. Und wenn du sagst, dass es harmlos ist, dann glaube ich dir.«
Ich klatschte in die Hände und sprang auf.
Ich
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