Ascheträume
»Wer liebt, wird ein Grauer! Warum also wirst du jetzt nicht zu einem Aschehäufchen?«
Ich schluchzte so sehr, dass ich meinte, den Verstand zu verlieren. Plötzlich erklang ein Fingerschnalzen, und wir fuhren herum.
Ludkar saß auf einer Maschine und beobachtete uns.
»So läuft das nicht«, sagte er und neigte den Kopf in einer Weise, die nun nichts Melancholisches mehr hatte.
Sein Mund schien wie für ein Grinsen geschaffen und um über das Leid anderer zu lachen.
»Wie konntest du!«, schrie ich so laut, dass es mir die Brust zerriss.
Ich dachte, ich könnte in meinem ganzen Leben nie wieder sprechen.
Ludkar stand auf.
»Dachtest du im Ernst, ein kleines Mädchen wie du würde mich interessieren?«, fragte er und faltete die Hände. »Komm schon, du bist doch nur ein Appetithäppchen! Es war sehr viel lustiger, euch gegeneinander auszuspielen. Am Ende musste ich gar nicht viel tun.«
Er hielt kurz inne.
»Gut, lassen wir mal beiseite, dass ich der kleinen Penny das Häschen weggenommen habe, damit ihr euch kennenlernt, und dass ich so getan habe, als würde ich sie retten, und abgesehen von meinem außergewöhnlichen Vortrag und den schrecklichen Qualen, die ich deinem schönen Nate zugefügt habe …«
Käpt’n Hook – ihn hatte Penny gemeint!
Mit einem Satz sprang er von der Maschine und schlug auf dem Boden auf wie ein Stein. Wir wichen ein Stück zurück. Er rappelte sich auf und fixierte uns schwankend.
»Am Ende habe ich euch nur gezeigt, wer ihr wirklich seid: Monster. Wie ich.« Er machte einen Schritt. »Thara ist meinem unleugbaren Charme ganz ohne Weiteres erlegen, und du, Nate, du hast einfach so ein so leichtlebiges Mädchen fallen lassen.« Er lachte heiser. »Und sag die Wahrheit: Es hat dir doch gefallen, wie ich dir diese Haken durch den Körper getrieben habe!«
Nate und ich sagten nichts. Wir wollten diesem Irren nicht noch mehr Genugtuung verschaffen. Allein die Erinnerung an seinen Kuss ekelte mich an. Dass ich ihn berührt hatte, verursachte mir eine schreckliche Übelkeit.
»Schade!«, fuhr Ludkar fort. »Ich hatte gehofft, dich mit meinen Methoden dazu zu bringen, deine Suche zu intensivieren. Aber wie es scheint, muss ich erst jemanden umbringen, um dich zur Eile anzutreiben.«
Ich brannte vor Wut.
Ludkar merkte es nicht und fuhr fort: »Wenn man mit dem Feuer spielt, kann man sich leicht verbrennen. Aber wer verbrennt sich zuerst? Mit Nate kann ich nichts mehr anfangen, er langweilt mich auf Dauer. Aber mit deiner Mutter, mit Charles, Christine oder Leonard … Mit denen könnte man wahrlich ein ganzes Feuerwerk veranstalten.«
Er lachte. Er lachte wie der Teufel, der er war.
Dann wurde er wieder ernst. Beunruhigend ernst. Seine schwarzen Augen drangen durch die Dunkelheit der Halle.
»Finde deinen Vater. Finde meinen Körper!«
Ich wollte ihm zeigen, dass auch ich wild werden konnte.
»Ja. Ich werde meinen Vater finden. Und ich werde deinen Körper finden.« Ich ging einen Schritt auf ihn zu. »Und wenn ich deinen Körper gefunden habe, werde ich ihn zerstören!«
Ludkar riss den Mund auf.
Ein grässlicher Anblick.
Er war riesig. Gespickt mit Hunderten spitzer Zähne wie bei einem Hai. Wie bei einem Tiefseefisch.
»Wenn du das Spielchen so spielen willst«, er beugte sich vor, »dann spielen wir es so.«
Doch als er auf mich losgehen wollte, wich der Duft der Iris aus all meinen Sinnen.
Schreiend erwachte ich.
Die Morgendämmerung war bereits heraufgezogen.
Ich war nicht sicher. Niemand war mehr in Sicherheit. Wir waren es nie gewesen. Mein Gott! Ich musste sofort Christine, Leonard, Charles und meine Mutter warnen. Wobei: Ihr konnte ich das alles nicht erzählen.
Ich musste schnell nachdenken und handeln.
Ich stand auf und nahm mein Handy. Ich wählte Charles’ Nummer. Als er antwortete, sagte ich nur »Wir müssen meine Mutter entführen.«
Wir trafen uns direkt vor der Apotheke. Ich hatte ihn gebeten, mit dem Wagen zu kommen. Ich war aufgeregt, sehr aufgeregt, ich hatte an diesem Morgen nicht einmal Kaffee trinken müssen.
Als ich Charles erzählt hatte, was Ludkar vorhatte, legte er mir eine Hand auf die Schulter.
»Keine Sorge, Thara. Geh in die Apotheke und hol deine Mutter. Sag ihr, ich muss ihr etwas Wichtiges mitteilen. Erfinde von mir aus irgendwas, Hauptsache, sie kommt da raus.«
Ich nickte und ging in die Apotheke.
Meine Mutter bediente gerade eine ältere Dame. Sie hielt inne. Sie war noch immer seelisch angegriffen und folgte mir,
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