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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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stand das Bettgestell, doch der Vampir war nicht da.
    Ich dachte kurz, er hätte mich vielleicht gerochen und sei geflüchtet, aber vielleicht wollte er auch nur auf den Dünen spazieren gehen, um nachzudenken und Abstand zu gewinnen.
    Ich setzte mich auf das Bettgestell und beschloss, auf ihn zu warten. Ich hoffte nur, dass ich nicht wie üblich plötzlich wach werden würde. Die psychoanalytische Sitzung mit dem Vampir hatte länger gedauert als vorgesehen.
    Plötzlich hörte ich ein Knistern in der Stille.
    Ludkar!, dachte ich. Aber er war es nicht, und mit Sicherheit war es auch keine Maus. Ich stand auf, um nachzusehen. Ich folgte dem Geräusch bis hinter die riesigen Zahnräder einer schwarzen Maschine und war für einen Moment wie gelähmt.
    Es war, als würde sich mein Körper vollkommen leeren. Nur meine Haut blieb übrig, wie kristallisiert.
    Vor mir saß Nate – geknebelt und an ein Fass gefesselt mit langen, gräulichen Wunden am Körper. Seine Augen waren weit aufgerissen und flackerten. Sein Herz schlug hell leuchtend unter seinem T -Shirt.
    Als ich wieder zu mir kam, lief ich zu ihm und nahm ihm den Knebel aus dem Mund.
    »O mein Gott, Nate!«, schrie ich. Meine Augen schmerzten schon, bevor ich zu weinen anfing.
    Mit einem Ruck befreite er sich von dem Stoff.
    »O mein Gott!«, wiederholte er. »Du dumme Gans! Ich hatte dich gewarnt!«, schrie er mich an. »Aber du bist drauf hereingefallen!«
    Ein nervöses Lachen schüttelte ihn.
    »Nate!« Mein Gesicht war verzerrt, Tränen rannen mir über die Wangen.
    »Mach mich los! Worauf wartest du noch?«
    Beschämt rannte ich hinter das Fass und schnitt mit einem scharfen Gegenstand die Knoten des Seils durch. Währenddessen redete Nate unaufhörlich.
    »Wie war es denn, ein Monster zu küssen, hä? Oder was habt ihr sonst gemacht, einen Fingerhut getauscht? Hat es dir gefallen? Tja, weißt du, als du weg warst, hat er sich einen großen Spaß daraus gemacht, mich zu foltern!«
    Mein Herz schlug zum Zerbersten. Nate hatte alles gesehen! Er hatte gesehen, wie Ludkar mich geküsst hatte. Dieser Schuft!
    Ich hatte Nate nicht auf dem Schiff gefunden, weil Ludkar ihn schon gefangen genommen hatte. Mein schöner Junge mit den Regenbogenaugen hatte meinen Brief gefunden, aber er hatte nicht auf mich warten können! Mein Gott, was hatte ich nur getan? Und was hatte er mit ansehen müssen?
    Ich machte Nate los und half ihm auf die Beine.
    »Nate, ich konnte doch nicht wissen, dass …«
    Er riss sich los und stieß mich weg, sodass ich fast hingefallen wäre. Ludkar musste ihm Schreckliches angetan haben. Nates Körper war gezeichnet von der Folter. Durch das zerrissene T -Shirt sah ich Schnitte. Große Schnitte, aus denen Asche rieselte.
    »Ja, klar, Thara!«, brüllte er. »Klar! Du hast keine Sekunde verloren und dich mit dem erstbesten Psychopathen eingelassen, der dir über den Weg gelaufen ist!«
    »Aber nein, Nate!«
    »Ich hab alles gesehen! Verarsch mich nicht noch mehr, als du es bereits getan hast! Findest du nicht, es reicht?«
    Ich wollte ihm übers Gesicht streichen, aber er drehte sich weg.
    »Was hat er mit dir gemacht?«
    »Das willst du nicht wissen«, sagte er kühl. »Und was interessiert es dich überhaupt? Ich bin dir doch gar nicht wichtig!«
    Erst da merkte ich, dass ich ihn berührt hatte. Ich hatte ihn berührt, und nichts war geschehen. Ich hatte mich nicht in Asche verwandelt. Der Schmerz in mir war zwar genauso groß, aber meine Hände waren nicht zu schwarzem Staub zerfallen. Das konnte nur eins bedeuten:
    Nate liebte mich nicht mehr.
    Er hatte aufgehört mich zu lieben.
    Zitternd streckte ich die Arme nach ihm aus. In mir ging alles entzwei. Ganze Städte wurden zerstört.
    Ich warf mich in seine Arme und drückte ihn, so fest ich konnte. Ich umarmte ihn und ließ ihn nicht mehr los.
    »Aber ich liebe dich, Nate! Deshalb bin ich zu Asche geworden!«
    Ich sagte ihm, was ich für ihn empfand. Ihm und mir selbst. Worte, die aus meinem tiefsten Inneren kamen. Wahr und klar wie Tautropfen, wie Tränen der Morgenröte. Nate schwieg. Kalt. Er wandte kaum den Kopf.
    »Du musst erst noch lernen, was Liebe bedeutet.«
    Seine Brust loderte auf. Sein Herz brannte wie ein Vulkankrater. Seine Haut wurde grau. Auch seine Augen verloren schlagartig alle Farbe. Ich lockerte meinen Griff.
    »Nein, Nate, ich habe dir dieses Wort beigebracht!«, flüsterte ich. »Ich liebe dich wirklich. Und du liebst mich auch.«
    »Und?«, sagte er mit trübem Blick.

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