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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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ab.
    Brüllend fiel der Polizist zu Boden.
    Ludkar hob die Pistole auf, ging zu dem Mann mit dem Megafon und erschoss ihn.
    Nur das Knistern der Flammen war zu hören. Die anderen Polizisten zitterten. Die Pflicht gebot ihnen zu bleiben, doch die Angst befahl ihnen zu fliehen.
    Ludkar drehte das Megafon, um zu sehen, wie es funktionierte, dann durchschnitt ein schriller Ton die flammende Nacht wie ein Rasiermesser.
    »Thara!«, zischte er an mich gewandt durch das Gerät. »Ich habe wenigstens einen Applaus verdient.« Er lachte leise, aber das Megafon ließ selbst das leiseste Rauschen auf geradezu unheimliche Weise dröhnen.
    Ich beschloss, ihm den Gefallen zu tun.
    Unter den bestürzten Blicken von Charles und der Polizei fing ich an zu klatschen.
    Ludkar senkte das Megafon und kam drohend auf mich zu.
    Ich wollte schon die Wasserflasche aus der Tasche ziehen, als Charles sich mit ausgebreiteten Armen vor mich stellte.
    »Tu ihr nichts! Wir sagen dir, wo Kolor ist.«
    Nein! Was hatte er getan! Ludkar durfte nicht erfahren, dass wir wussten, wo mein Vater war!
    Der Vampir lächelte, er hob die Pistole und schoss Charles im Laufen eine Kugel ins Bein.
    Ich hörte, wie sein Knochen brach. Sein Schrei fuhr mir durch Mark und Bein.
    »Neeein!«, schrie ich und versuchte, Charles zu stützen.
    Aber er fiel nach vorn, ich konnte ihn nicht halten.
    Er rollte von der Kühlerhaube und fiel vor den Wagen.
    Ich war außer mir.
    Ich wollte vom Wagen heruntersteigen und ihm zu Hilfe kommen, aber Ludkar zielte auf Charles’ Kopf, lud durch und befahl mir, keinen Schritt weiterzugehen.
    »Wenn du nicht wissen willst, wie das Gehirn deines Freundes aussieht, dann wirf die Wasserflasche in deiner Tasche hierher und beweg dich nicht«, sagte er und zeigte seine spitzen Zähne.
    Charles litt vor meinen Augen Todesqualen, und ich konnte nichts machen. Ich konnte nichts tun! Ich zitterte, und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
    Ich sah, wie er eine Hand nach mir ausstreckte. Er bekam kaum Luft.
    »Du Bastard!«, schrie ich Ludkar an und warf ihm die Flasche zu, während er sich neben Charles hockte.
    Das Monster sah mich an.
    »Kannst du verstehen, was er sagt? Ich verstehe es nämlich nicht.« Er nahm Charles’ Kopf in die Hände und zerkratzte ihm wütend die Wangen. »Sprich deutlicher! Deutlicher!«
    »Bastard! Lass ihn!«, rief ich weinend.
    Ludkar riss seinen Mund auf, der ganze Welten verschlingen konnte.
    »Wo ist dein Vater!«, schrie er so laut, dass die Nacht erbebte. »Sag’s mir, oder ich reiße sein Gesicht in Stücke!«
    Schluchzend biss ich mir auf die Lippen, ich hatte keine andere Wahl.
    »In Moon’s Cave . Lass ihn jetzt! Lass ihn, ich bitte dich!« Ich spürte, wie mein Blut in den Augen pulsierte, wie meine Zunge gegen die Kehle drückte und sich mein gesamter Mageninhalt zu einem riesigen Knoten zusammenkrampfte.
    O Gott! Das würde ich nie mehr vergessen!
    »Danke«, sagte Ludkar und hielt Charles das Megafon vor den Mund. »Willst du dich auch noch mal bei ihr bedanken?«
    Und dann – aus reiner Boshaftigkeit, aus Blutdurst und Hunger nach lebendem Fleisch – zeigte sich Ludkar so, wie er in Wahrheit war.
    Ein Kannibale.
    Noch immer hielt er Charles das Megafon vor den Mund, schlug seine Zähne in dessen Brustkorb und tat das, was eine unersättliche Bestie tat.
    Ich war völlig am Ende. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr.
    Ich fiel nach hinten und schnitt mir die Hand an der zerbrochenen Windschutzscheibe auf. Die Kühlerhaube verbarg das ganze Grauen vor meinen Augen, aber der schreckliche Schmerz, der mich durchfuhr, war tausendmal schlimmer.
    Ludkar massakrierte den gütigsten Menschen, den ich je kennengelernt hatte. Er riss den Körper meines Freundes Charles, meines Fast-Vaters Charles, in Stücke.
    Ich spürte seinen Schmerz millionenfach verstärkt.
    Seine gellenden Schreie, verzerrt durch das Megafon, zerrissen mir Ohren und Gehirn.
    Und ich konnte nichts gegen diese Grausamkeit ausrichten. Was für ein Gräuel! Ich konnte nichts mehr tun.
    Charles starb.
    Er wurde getötet und Stück für Stück verschlungen, seine unmenschlichen Schmerzensschreie hallten zwischen den Häusern hindurch und drangen bis hinter die Grenzen der Welt. Hinter die Grenzen alles Erträglichen.
    Das Grauen ließ die Mauern beben, es blendete die Polizisten, es ließ die Flammen erstarren.
    Allmählich verrückte mein Blick und trat aus der Zeit. Alles wurde langsam und begann zu schweben. Die Laute, die

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