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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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Bilder, meine Gedanken.
    Ein Lidschlag dauerte eine Nacht, eine Nacht viele Stunden, und als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich Charles’ Fliege auf den blutgetränkten Asphalt fallen.
    Ich hörte einen Knall.
    Für einen Augenblick tauchte aus diesem Meer aus Flammen und Schreien das riesige, entstellte Gesicht Ludkars auf. Er sah mich an und lachte. Und beim Lachen troff sein messerscharfer Mund vor Blut.
    Ich weinte. Ich schrie. Ich wollte so laut schreien wie nur möglich, um das ohrenbetäubende Lamento meines Freundes zu übertönen, aber ich schaffte es nicht.
    Ich zerkratzte mir absichtlich die Wangen. Ich war kurz davor, verrückt zu werden, als Nate hinter Ludkar aus den Flammen trat.
    Ein Motorrad fuhr in vollem Tempo durch das Feuer auf uns zu.
    Mit einem Schlag kam ich wieder zu mir.
    Ich nutzte Ludkars Ablenkung, sprang vom Wagen und rannte.
    Es war Nate, es war wirklich Nate. Er war zurückgekommen, um mich vor dieser Bestie zu retten. Er war Ludkar durch das Feuer gefolgt und auf ein liegen gelassenes Motorrad gesprungen, das von der Explosion mitgerissen worden war.
    Schlingernd hielt er neben mir und reichte mir die Hand.
    »Spring auf!«
    Ich hielt mich an ihm fest und sprang auf den Sitz hinter ihm.
    »Halt dich gut fest!«, sagte er, gab zweimal Gas und fuhr los.
    Wir brausten davon.
    Ich war noch nie auf so einem Motorrad gesessen.
    Wie bei einem Hürdenlauf flitzten wir zwischen den Autos hindurch, während ich hinter uns Ludkars wütenden Schrei hörte.
    Erst jetzt überließ ich mich meinen Tränen und klammerte mich fest an Nates Oberkörper.
    »Er hat deinen Vater getötet … Er hat Charles getötet!«
    Vielleicht hatte Nate mich nicht verstanden oder ich seine Antwort nicht gehört, jedenfalls nahm ich keine Reaktion wahr.
    »Er hat Charles getötet!«, schrie ich noch einmal.
    »Dann werden wir ihn im Cinerarium wiedersehen.«
    Dieses Mal hatte ich ihn deutlich gehört, so deutlich wie den Knall zu meiner Rechten.
    Ich drehte mich um und hinter meinem Tränenschleier sah ich Ludkar, der wie eine Spinne von Wagen zu Wagen hüpfte.
    Er vollführte enorme Sprünge und sank dabei schwer in das Blech ein. Jedes Mal, wenn er in ein Autodach einbrach, wurde die Alarmanlage ausgelöst, und in kurzer Zeit erklang ein ohrenbetäubender Lärm.
    »Schneller, Nate!«
    Er beschleunigte, und schließlich ließen wir den Stau hinter uns.
    Als wir eine gerade Straße vor uns hatten, konnte er Gas geben. Ich blickte nach hinten. Nun hatte selbst Ludkar Mühe, mit uns mitzuhalten.
    »Los, los!«, trieb ich Nate weiter an, aber ich merkte, dass etwas nicht stimmte.
    »Ich kann nicht mehr … nicht mehr lange …«
    »Was?!«
    Ich hatte nicht die leiseste Idee, wie man so ein Ding fuhr.
    Ich sah Nates Arme – Asche fiel von ihnen herab.
    »Nein!«
    Ich zog das Handy aus der Tasche und versuchte, mit einer Hand Christines Nummer zu wählen. Wir waren sowieso zu ihrem Haus unterwegs.
    Es läutete. Sie nahm ab.
    »Was ist los, Thara? Hast du Land gesichtet?«, fragte sie mich sarkastisch.
    Ich schrie.
    »Geh sofort raus auf den Hof und dreh das Wasser auf!«
    Das Handy fiel mir aus der Hand, und ich betete, dass sie das Ganze nicht für einen Scherz hielt.
    »Nach rechts!«, sagte ich im letzten Moment zu Nate.
    Das Motorrad kam bei der hohen Geschwindigkeit ins Schlingern, und wir brauchten ein paar Sekunden, bis wir unser Gleichgewicht wiedergefunden hatten.
    »Ich schaff’s nicht mehr …«
    Von seinen Schultern fiel Asche, ich atmete sie ein.
    »Los, wir sind gleich da!«
    Doch in diesem Moment zerfiel Nate zu Staub, der mir in die Augen drang. Ich war allein auf dem Motorrad.
    »O nein!«, schrie ich und versuchte, die Lenkstange zu packen. Das Motorrad war groß und schwer. Ich konnte die Maschine kaum gerade halten.
    Ich ließ den Gashebel los und fuhr schreiend im Zickzack. Autos überholten mich hupend.
    Dann sah ich Christines Haus und fuhr direkt darauf zu.
    Meine Freundin war mit Leo im Hof. Sie hielt den Wasserschlauch in der Hand, und aus ihren Augen sprach das Grauen.
    Wie eine verirrte Kugel schoss ich auf sie zu und durchbrach den Zaun. Die Räder kamen auf dem Gras ins Rutschen, und ich konnte mich gerade noch vom Sattel rollen, bevor das Geschoss an der Hausmauer zerschellte.
    Leo half mir auf.
    Kaum stand ich, stürzte ich zum Wasserhahn und drehte ihn ganz auf.
    Christine spürte, wie der Schlauch in ihrer Hand vibrierte, und begann, wie ein durchgedrehter Hydrant in alle Richtungen

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