Ascheträume
Müdigkeit wenig und schlecht geschlafen. Ich hätte damit rechnen müssen. Besser, ich hätte krankgemacht und wäre zu Hause geblieben. Ich setzte die Sonnenbrille auf und rannte los, um nicht zu spät zu kommen.
Gleich hinter dem Schultor bestätigte sich, dass es ein Fehler gewesen war, in die Schule zu gehen.
Als ich den Weg entlanglief und nach Luft schnappte, merkte ich, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging. Ich begriff nicht gleich, worum es sich handelte, bis mir klar wurde, dass das übliche Geschrei der Schüler verstummte, als ich an ihnen vorbeiging.
Ich hob kaum merklich den Kopf – gerade so viel, um hinter meinen dunklen Brillengläsern hervorschielen zu können – und sah, dass alle mich anstarrten. Sobald ich in ihre Richtung blickte, sahen sie weg und hielten sich die Hand vor den Mund, um ihr Gelächter dahinter zu verstecken.
Leichter Frust mischte sich in die Lawine verwirrender Gefühle, die mich sowieso schon belasteten und kostete mich meine letzten, wenigen Kräfte. Was war denn nun schon wieder los? Was hatte ich so furchtbar Witziges getan?
Gerade als ich unauffällig durch den Haupteingang gehen wollte, tauchte Jennifer Suarez mit ihren beiden Freundinnen auf. Jenny »Lippenstift«, wie Christine sie nannte, denn ihr Lippenstift war überall, nicht nur auf ihren Lippen, stellte sich mir in den Weg. Immer war sie geschminkt und gekleidet, als müsste sie über einen Laufsteg gehen, aber sobald sie den Mund aufmachte, wirkte sie wie ein Troll.
»Was willst du, Suarez?«, fragte ich und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.
Sie grinste mich an und machte einen Schritt nach rechts, um mir auch diesen Ausweg zu blockieren.
»Ich wollte wissen, ob du Spaß hattest.«
Sie kicherte mit ihren Freundinnen.
»Hä?«, machte ich desinteressiert und ging nach links.
Wieder folgte sie mir auf dem Fuße.
»Ob du es gut fandest, mit Esteban ins Bett zu gehen? Ich fand es nämlich nicht so gut, als ich davon gehört habe.«
Ich blieb stehen und sah sie durch ihr undurchdringliches Make-up hindurch an.
»Was hast du gesagt?«, fragte ich scharf.
»Esteban hat allen erzählt, was neulich Abend los war«, fuhr Jennifer mit Genugtuung fort. »Die ganze Schule weiß, dass du mit ihm im Bett warst. Weißt du, ich hätte ja nicht gedacht, dass man dich so leicht rumkriegt. Beim ersten Date!«
»Aber das stimmt doch gar nicht!«, schrie ich sie an. Meine Nerven lagen blank.
Wie konnte dieser Mistkerl es wagen! Ich ballte so fest die Faust, dass ich mir fast die Fingernägel ins Fleisch trieb. Er musste gedacht haben, dass ich an der Geschichte mit seinem Motorrad schuld war, und nun hatte er eine tolle Möglichkeit gefunden, um sich zu rächen.
»Ich war nicht mit ihm im Bett!«, wiederholte ich. »Das würde ich niemals tun!«
Ich stieß Jennifer Suarez weg und lief mit gesenktem Kopf durch den Eingang.
Ich spürte die Blicke der anderen wie spitze Pfeile auf mir. Ich war eine leichte Zielscheibe. Meine Haut fühlte sich kalt und kribbelig an, und ich war überwältigt vor Scham. Ich musste die Situation sofort in den Griff bekommen, bevor alles noch schlimmer wurde.
Jennifer Suarez war noch nicht zufrieden, sie schrie mir nach: »Esteban hat gesagt, es war, als würde man ein Schnitzel vögeln!«
Ich knirschte mit den Zähnen. Wenn ich sie noch weiter aufeinandergedrückt hätte, wären sie zerbröselt.
Ich ging schneller und versuchte, zwischen den Schülern zu verschwinden, aber meine Größe – ich war ein wenig größer als der Durchschnitt – machte mir die Sache nicht leicht.
Ich bog in die Flure ein, und auch dort erwartete mich das gleiche Szenario. Alle drehten sich nach mir um, als wäre ich nackt. Und genauso fühlte ich mich auch. Es war ein Albtraum.
Dann sah ich Esteban an seinem Spind lehnen, ein paar andere Jungs standen um ihn herum. Mit seiner Lederjacke und seiner provokativen Haltung sah er genauso aus, als würde er gerade pikante Details über unser Date zum Besten geben. Mir wurde übel.
Ich ging direkt auf ihn zu. Als er mich kommen sah, hob er unmerklich den Kopf. Sein Blick ließ mich innehalten. Auch die anderen Jungs drehten sich zu mir um, und brachen in schallendes Gelächter aus.
Alle Beschimpfungen, die ich mir auf dem kurzen Weg zurechtgelegt hatte, waren augenblicklich wie weggeblasen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich brachte kein Wort heraus. Ich spürte, dass ich aus Frust und Verbitterung gleich anfangen würde zu weinen.
Esteban
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