Ascheträume
Charles’ Haus. Bevor wir klingelten, besah ich mir misstrauisch die Iris. Ich wollte nicht, dass ich mitten auf dem Gartenweg eine weitere Überraschung erlebte. Oder vielleicht doch?
»Vielleicht sollten wir besser ein anderes Mal wiederkommen«, sagte ich mit Blick auf die Klingel.
»Es ist immer das gleiche mit dir!«, schnaubte Christine und drückte auf das Messingknöpfchen.
Während wir warteten, betrachteten wir das Haus: Es war groß und hatte zwei Stockwerke, ein Türmchen und eine Veranda. Ich hätte gern hier gewohnt, auch wenn mir der Anblick des Hauses Gänsehaut verursachte. Die weiße Fassade erschien mir mittlerweile wie eine Maske, die etwas Düsteres verbarg.
Als die Tür aufging, stand Charles im Eingang. Er war im Morgenrock, auf der linken Seite standen ihm die Haare ab, als wäre er gerade erst aufgestanden. Er setzte sich die Brille auf. Als er mich erkannte, lächelte er breit.
»Na, so was! Hallo! Diesmal haut ihr aber nicht gleich wieder ab, oder?«
Gähnend kam er zum Tor und öffnete es.
Christine und Leonard verkniffen sich ihre frechen Bemerkungen und gaben sich wohlerzogen. Nach wenigen Worten des Mannes waren sie schon auf einer Wellenlänge mit ihm.
Sie hatten nicht erwartet, dass er so umgänglich und so einnehmend sein würde. In puncto schlagfertige Bemerkungen und Sarkasmus war er ihnen um Längen voraus.
Während wir zur Haustür gingen, erzählte er uns einen schrecklichen Witz.
»Den kennt ihr wirklich nicht? Gut. Also: Treffen sich drei Vampire und schließen eine Wette darüber ab, wer am meisten Blut saugen kann. Der Erste geht los und nach ein paar Stunden kommt er blutverschmiert wieder zurück. Die anderen beiden fragen: ›Wo warst du denn?‹ Da sagt der Erste: ›Habt ihr diese Säule im Wald gesehen, mitten im Nebel? Da bin ich links gegangen, ein Stück weiter ist ein Dorf, und dort habe ich allen das Blut ausgesaugt!‹ Der Zweite geht los und kommt auch nach ein paar Stunden voller Blut wieder zurück. Die beiden anderen sagen: ›Wow! Wo warst du denn?‹ Der Vampir sagt: ›Habt ihr diese Säule im Wald gesehen, mitten im Nebel? Da bin ich nach rechts gegangen, ein Stück weiter ist ein Dorf, und dort habe ich allen das Blut ausgesaugt!‹ Dann geht auch der Dritte und kommt nach einer Weile triefend vor Blut wieder zurück. Die beiden anderen sagen: ›Wow! Wo warst du denn?‹ Und der Vampir antwortet: ›Habt ihr diese Säule im Wald gesehen, mitten im Nebel?‹ Die anderen: ›Ja!‹ Und er: ›Tja, ich nicht.‹«
Ich zwang mich zu lachen, während Leo mich am Arm nahm und mich traurig ansah.
»Warum haben wir in unserer Schule keine Charles-Klone statt Lehrer?«
Ich warf einen Blick auf die Iris, die reglos in der Sonne standen. Sie wirkten zu gelassen, um unschuldig zu sein.
Gleich als wir eintraten, blieben wir stehen. Aus dem Halbdunkel tauchten seltsame Formen auf. Ungläubig sahen wir uns um.
Charles drehte sich zu uns um und breitete die Arme aus: »Tata-tatam!«
Da ging sein Morgenrock auf, und er schloss ihn hastig wieder.
»Ist ja supercool!«, sagten Christine und Leonard fast im Chor.
Wir kamen uns vor wie in einem Grusel- und Kuriositätenkabinett. Das ganze Haus war voller merkwürdiger, unheimlicher Dinge. An der Wand hingen ausgestopfte Uhus mit Karnevalsmasken und Papierhüten; mitten im Wohnzimmer stand eine Kanone, aus deren Lauf Zeitungen ragten und in einem Sessel saß ein Skelett, das Tee trank. Hinter dem Sofa standen Ritterrüstungen mit Toastern anstelle der Helme und eine Reihe noch seltsamerer Sachen.
Trotz der düsteren Einrichtung verlieh Charles’ Aufzug dem Ganzen eine ziemlich groteske Note.
Wir wagten uns weiter ins Haus hinein und folgten dem eigenartigen Hausherrn in die Küche. Dort nahm er eine Schachtel und bot uns Gummibärchen an, die aussahen wie Regenwürmer. Er fand ganz offensichtlich Gefallen daran, die Leute zu schockieren, aber ich gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich deswegen aufregte. Vielmehr wusste ich seine Mühe zu schätzen.
»Wollt ihr?«, fragte er meine Freunde.
Leonard und Christine ließen sich kein zweites Mal bitten. Ich lehnte dankend ab, Charles blinzelte mir zu und goss mir eine Tasse Kaffee ein – schwarz, wie ich ihn mochte.
»Ich hatte gehofft, dass ihr kommt«, gestand er.
»Auch nach dem, was meine Mutter gesagt hat?«, fragte ich.
Charles sah mich an. Er schien sich zwingen zu müssen, ernst zu bleiben.
»Vor allem deswegen!«
»Sie sind echt klasse,
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