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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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wusste aber weder, wie ich anfangen sollte, noch, ob es überhaupt eine gute Idee war. Sie würden mich für verrückt halten – wie ich selbst mich am Anfang auch.
    Dennoch lag mir viel an ihrer Meinung.
    »Glaubt ihr, dass es noch etwas anderes außerhalb dieser Welt gibt?«, fing ich an, ohne zu wissen, wie ich fortfahren sollte.
    »Ja«, sagte Leo sofort. »Du steckst bis zum Hals drin: Das Gymmi.«
    »Nein, ich meine es ernst. Glaubt ihr, dass dies hier die einzige Wirklichkeit ist?«
    Christine sah mich an, als wäre ich besoffen. »Du bist ja noch merkwürdiger als sonst.«
    Ich seufzte. »Gestern … als ich in Charles’ Garten ohnmächtig geworden bin …«
    »Du kennst den Typ?«, unterbrach mich Leo.
    »Es hat sich herausgestellt, dass er ein Freund meines Vaters war. Wie auch immer, als ich ohnmächtig geworden bin, ist mir was echt Komisches passiert …«
    Ich erzählte die ganze Geschichte mit einer Selbstverständlichkeit, die ich selbst nicht erwartet hatte. Ich schilderte ihnen die Aschewüste bis ins kleinste Detail, und während ich sprach, durchlebte ich noch einmal jeden einzelnen Augenblick, jeden einzelnen Moment der Angst, des Staunens und der Verwirrung. Und während ich nach und nach alle Vorfälle schilderte, wuchs meine Überzeugung, sie wirklich erlebt zu haben. So deutlich konnte man sich nicht an einen Traum erinnern! Träume waren verschwommen und unzusammenhängend, sie folgten keiner exakten Zeitlinie, es waren Bilder und Verarbeitungen von Erlebnissen des vorigen Tages.
    Meine Freunde unterbrachen mich nicht, sondern hörten mir, nach vorne gebeugt, zu. Immer wieder blickten sie sich gegenseitig an, um die Reaktionen des jeweils anderen zu prüfen und sich zu vergewissern, dass ich mich nicht mit einem von beiden abgesprochen hatte, um dem anderen einen Streich zu spielen.
    Als ich dann bei dem Jungen angekommen war, der mich gerettet hatte, holte ich die Zeichnung aus der Mappe, die ich für sie in die Schule mitgebracht hatte. Ich legte sie vor mich auf den Tisch und beendete meine Geschichte.
    »Gut, Thara«, hob Christine an, »in meiner privaten Rangliste von Soziopathen und potenziellen Mördern hast du an Punkten gewonnen.«
    »Du musst mir ja nicht glauben«, erwiderte ich und nahm die Zeichnung wieder an mich.
    Mit so einer Reaktion hatte ich zwar gerechnet, aber es ärgerte mich trotzdem.
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich dir nicht glaube«, lenkte sie ein, als sie meine angesäuerte Miene sah. »Vielleicht bin ich ja nur neidisch …«
    Sie spielte mit dem Armband, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Du hast den Jungen deiner Träume gefunden. Schade, dass er dortgeblieben ist!«
    »Ich finde den Teil mit den Aschemenschen cool! Wie in Silent Hill «, sagte Leo und schaukelte auf seinem Stuhl.
    »Du bist der Junge meiner Albträume!«, grinste Christine.
    »He, Leute«, bremste ich sie, bevor sie anfangen konnten, sich zu streiten. »Ich habe euch gerade erzählt, dass ich in einer anderen Welt war.«
    Christine lächelte. »Gut, beweise es!«
    »Und wie?«, fragte ich sie.
    Christine zwinkerte mir zu und stieß mich mit dem Ellbogen an. »Was hatte dieser Typ denn für einen Hintern? Einen herrlichen, perfekten Knackarsch?«
    Lächelnd schüttelte ich den Kopf.
    Da sie mich sowieso nicht ernst nahmen, beschloss ich, mitzuspielen. Auch ich musste mich mal amüsieren.
    »Du bist besessen!«
    »Nein, nein!«, stellte Christine richtig. »Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich bin Ästhetin. Ich betrachte die Sache aus einer rein künstlerischen Perspektive.«
    »Na klar!«
    Ich ging nicht weiter auf dieses Thema ein. Stattdessen wollte ich ihre Aufmerksamkeit auf den Moment lenken, in dem ich in Charles’ Garten eingeschlafen war. Wenn ich begreifen würde, was passiert war, würde ich vielleicht die gleichen Bedingungen wiederherstellen und in diese Welt zurückkehren können.
    »Erinnert ihr euch zufällig, was ich getan habe, bevor ich ohnmächtig geworden bin?«
    Leonard setzte die Kapuze seiner Fleecejacke auf.
    »Du wolltest Blumen klauen. Vielleicht bist du aus Angst, geschnappt zu werden, durchgedreht.«
    »Nein«, sagte ich nachdenklich. »Ich glaube, es war dieser Duft.«
    Leonard zwinkerte mir zu.
    »Waren das denn wirklich Iris? Oder baut dieser Typ in seinem Garten womöglich illegale Pflanzen an?«
    Ich ging auch darauf nicht ein.
    »Wie wär’s«, schlug ich vor, »wenn wir nach der Schule zu ihm gehen?«

Gegen halb fünf standen wir vor

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