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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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Herr Charles!«, sagte Leo.
    »Bitte, nennt mich Charles.«
    In diesem Augenblick tauchte eine ordentlich aussehende Frau in der Küchentür auf, die so gar nicht in dieses absurde Haus zu passen schien.
    »Das ist meine Frau Sally«, sagte Charles und stellte sich neben sie.
    »Guten Tag«, sagte die Frau leise und hob langsam eine kleine, zierliche Hand, als würde sie jemanden von Bord eines Schiffes aus grüßen. »Schön, hier im Haus junge Stimmen zu hören!«
    Charles schien sich getroffen zu fühlen.
    »Was willst du damit sagen? Dass ich alt bin?«
    Er packte Sally an den Hüften und hob sie hoch. Sie lachte, und wir lachten auch, ich allerdings tat mich etwas schwerer. Mir war ein wenig unbehaglich zumute. An Familienszenen war ich nicht gewöhnt.
    Eine gute Viertelstunde unterhielten wir uns, und Leo nutzte die Zeit, um dem Witz von vorhin noch einen draufzusetzen. Sein Humor schien Charles zu liegen. Ich bekam eine leichte Gänsehaut an den Armen. Wenn die beiden noch mehr Zeit zusammen verbrachten, würden sie wissen, wie sie mir Angst einjagen konnten!
    Dann verabschiedete sich Sally, die sagte, sie müsse in den Garten und sich um die Iris kümmern. Sie war die Hobbygärtnerin des Hauses.
    Ich sah ihr nach, wie sie sich langsam entfernte und eine kleine Hacke aus einem Schränkchen nahm. Charles rieb sich die Hände und schlug vor, unseren Rundgang durch das Haus fortzusetzen.
    Wir erhoben uns vom Küchentisch und folgten ihm in die übrigen Zimmer. Ich hielt mich ein wenig im Hintergrund und ließ Leonard und Christine neben Charles hergehen, damit sie ihre Neugier befriedigen konnten. Sie wollten einfach alles über jeden noch so kleinen Gegenstand wissen. Charles merkte, dass ich Distanz hielt, tat aber so, als sei nichts.
    Wir sahen mittelalterliche Schränke, Monster, die aussahen, als hätte man sie von einem Rummelplatz gestohlen, Zerrspiegel, eigentümliche Apparaturen, Wetterhähne und Wasserspeier. In einer Ecke stand, wohl seit vielen Jahren vergessen, sogar noch ein Christbaum, an dem Trockenkürbisse hingen.
    Charles zeigte uns jeden Winkel des Hauses, doch als wir im Dachstock ankamen, stellte er sich vor die Mansardentür. Er sagte, dass immer wieder Tauben hier hereingelangten, und schloss die Tür mit dem Schüssel ab.
    »In der Mansarde sind nur Kisten mit Büchern, die ich mal unter irgendwelche Tischbeine schieben muss. Es lohnt sich nicht, sich staubig zu machen.«
    Er log. Ich war mir sicher, dass er log.
    Er warf mir kurz einen Blick zu, und ich senkte den Kopf, bevor er den Zweifel in meinem Gesicht erkennen konnte. Er schob den Schlüssel in eine Tasche seines Morgenrocks und sagte, es gebe weiter nichts Interessantes zu sehen.
    Ich wusste nicht, was er uns – oder eher nur mir – verheimlichen wollte. Zuvor, als wir die Treppen hinaufgegangen waren, hatte ich nämlich gesehen, wie Charles scheinbar ganz beiläufig ein gerahmtes Bild von der Wand genommen, es umgedreht und auf ein Regalbrett gelegt hatte.
    Doch ich sagte nichts.
    Ich wartete, bis Christine und Leonard die Treppe hinuntergingen, dann hielt ich Charles fest. Eindringlich blickte ich ihm in die grauen Augen.
    »Du hast meinen Vater gekannt, nicht wahr?«
    Die Lachfalten, die sich über viele Jahre in sein Gesicht gegraben hatten, wurden schwächer wie eine Kerzenflamme unter Glas.
    »Ja«, sagte er, ich habe deinen Vater gekannt.«
    Ich lächelte, um ihn zum Weitersprechen zu animieren.
    »Dann kannst du mir ja eine Menge erzählen. Ich habe ihn leider nicht gekannt.«
    Charles lehnte sich an den Handlauf.
    »Ich glaube nicht, dass das deiner Mutter gefallen würde. Nach dem Zwischenfall wollte sie mit niemandem, der deinen Vater kannte, mehr etwas zu tun haben. Wir wohnen zwar in der Nachbarschaft, aber sie hat sich nicht mehr sehen lassen, sie hat zu allen den Kontakt abgebrochen.«
    Sosehr mich das Verhalten meiner Mutter auch wirklich ärgerte, vor allem weil sie nicht wollte, dass ich Charles kennenlernte – irgendwie konnte ich sie verstehen.
    Ich hatte sie schon mehr als einmal dabei erwischt, wie sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen und die ganze Nacht geweint hatte. Es war entsetzlich, die eigene Mutter weinen zu sehen.
    »Ich war immer mal wieder in der Apotheke, aber sie ging mir aus dem Weg und bediente andere Kunden. Und sie wollte auf keinen Fall, dass wir beide uns treffen«, fuhr er fort. »Jetzt weiß ich nicht, was das Richtige ist … Was ich dir erzählen soll. Lass mich darüber

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