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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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so durchdringend, dass ich fast erschrak und auf meine Hände starrte. In einer Hand drückte er nervös ein Stück verbrannten Stoff, den er wahrscheinlich als Handtuch benutzte.
    Er legte den Kopf schräg und machte ein Gesicht, als schien er zwischen Staunen und Beunruhigung zu schwanken.
    Langsam öffnete er den Mund und sagte mit tiefer, warmer Stimme: »Dann warst du also doch keine Halluzination.«
    Ich versuchte, ein Lächeln anzudeuten, weil ich dachte, dass ihn das vielleicht beruhigen würde, aber er fuhr sich mit den Händen über die Schläfen und sah aus, als wollte er gleich losbrüllen.
    In zwei Schritten war er bei mir. Ich sprang auf. Es war unmöglich, zu verstehen, was in ihm vorging. Er packte mich an der Schulter und drückte sie fest, zu fest. Er tat mir weh. Ich stieß ihn weg und wich zurück.
    »Was tust du da?«, brüllte ich ihn an.
    Er trat erneut auf mich zu und packte mich am Arm, doch diesmal ließ er mir keine Möglichkeit auszuweichen.
    Ich erschrak. Sein schönes Gesicht war zutiefst verstört, es traf mich wie ein elektrischer Schlag. Ich wollte mich befreien, doch er hielt mich unerbittlich umklammert. Er schubste mich nach hinten, sodass ich mit dem Rücken an den Schiffsrumpf stieß. Ich schlug mir den Kopf an und schrie laut auf. Mein Schrei vermischte sich mit dem Geräusch des vibrierenden Metalls.
    Dieser Kerl war völlig verrückt und darüber hinaus auch noch gefährlich. Ich hätte es mir denken können: Er war wie eine Iris – zu schön, um nicht etwas Düsteres zu verbergen!
    Ich biss fest die Zähne zusammen und machte die Augen zu. Meine Handgelenke brannten von der Umklammerung seiner Finger. Ich wartete. Ich wusste nicht, was er mir antun würde, aber bestimmt war es schmerzhaft.
    »Gibt es dich wirklich?«, schrie er grob. »Gibt es dich wirklich?«
    Ich brach in Tränen aus. Es war ein hysterisches Heulen – die einzige Waffe, die mir geblieben war. Ich hörte sogar auf, mich zu wehren, und spürte, wie mich die Kräfte verließen. Mir wurden die Knie weich, ich ließ den Kopf hängen.
    Er stand so nah vor mir, dass meine Stirn die seine berührte.
    »Ja«, sagte ich leise. »Ja …«
    Mein Schluchzen wurde schwächer, bis nichts mehr aus meiner Kehle kam, und nur noch Stille herrschte.
    Stille und Dunkelheit.
    Der Druck an meinen Handgelenken ließ nach. Der keuchende Atem des Jungen, den ich auf meinem Gesicht spürte, wurde langsam ruhiger. Immer schwächer, immer dünner. Die Spannung, die im Raum entstanden war, verflog nach und nach.
    Erst jetzt fand ich den Mut, die Augen wieder aufzuschlagen.
    Die Tränen trübten meine Sicht, doch seine Augen waren so nah, dass sie aussahen wie ganze Welten. Seinen finsteren Blick zu durchdringen war, wie in einen Regenbogen einzutauchen.
    Ich spürte, wie sich seine Stirn von meiner löste und er zurückwich. Er ließ meine Handgelenke los. Meine Arme, noch immer kraftlos, fielen an mir herunter.
    »Du … du bist nicht von dieser Welt«, sagte er langsam.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Ich hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde. Mir war nicht klar, was er von mir hören wollte.
    »Dann hatte ich also recht«, sagte er leise und mit einem dünnen Lächeln. »Ich bin nicht verrückt!«
    Er brach in ein irres Lachen aus und fuhr sich durchs Haar. Um seine Mundwinkel bildeten sich kleine Grübchen.
    »Woher kommst du?«, fragte er und fixierte mich durchdringend.
    Ich musste mich noch immer von dem Schreck erholen und konnte nicht gleich antworten.
    »Woher kommst du?«, wiederholte er nun ruhiger und entschlossener.
    Ich sah ihn wütend an.
    »Von der Erde.«
    Er ließ sich nach hinten fallen und landete auf dem Schemel, auf dem zuvor ich gesessen hatte.
    »Die Erde …«, wiederholte er, als würde er dieses Wort zum ersten Mal hören.
    Ich rieb mir die Handgelenke und machte einen Schritt von der Wand weg, hielt aber noch immer Abstand. Ich sah, dass er nachdenklich wurde. Er starrte auf den Boden, sein Gesicht war entspannt. Ich hätte schwören können, dass er mich absichtlich ignorierte, als wäre das alles gerade eben gar nicht passiert.
    »Du könntest dich wirklich bei mir entschuldigen«, sagte ich unwirsch.
    Er hob kaum den Kopf.
    »Wofür?«, fragte er mit entwaffnendem Ernst.
    Ich wurde zornig.
    »Wofür? Du bist auf mich losgegangen und hast mich an die Wand geschubst! Und du hast den Nerv, mich auch noch zu fragen, wofür?«
    Er zuckte mit den Schultern, als könne er mein Verhalten gar nicht

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