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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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musste.
    Ich stand so reglos da wie vor der brennenden Schule, als ich diese Figur auf dem Dach angestarrt hatte. Doch dieses Mal war ich die Gestalt in den Flammen.
    Der Rauch brachte mich zum Husten und ich erinnerte mich wieder an den Roman.
    Ich lief zum Herd und löschte das Feuer. Dann holte ich einen Wischlappen, machte ihn nass und warf ihn auf das, was von dem Buch noch übrig geblieben war.
    Ich machte die Fenster auf. Warum hatte meine Mutter so reagiert? Was stand auf diesen Seiten so Schlimmes?
    Ich nahm den Lappen vom Herd und griff vorsichtig nach dem nassen, verkohlten Roman. Aber kaum dass ich versuchte, ihn aufzuschlagen, zerfiel er in tausend schwarze Fetzen.
    Ich wollte meine Gefühle gar nicht verstehen, ich spürte nur, wie sich mein Gesicht zusammenzog und ich in Tränen ausbrach. Vielleicht war dies das Einzige, in dem ich meiner Mutter ähnlich war.
    Wir konnten beide gut weinen.

Meine Mutter kam in den nächsten Stunden nicht zurück. Vermutlich hatte sie bei einem neuen Liebhaber Zuflucht gesucht. Auch ich hatte eine Zuflucht nötig, aber meine befand sich in einer Welt aus Asche.
    Ich ging in den Blumenladen und kaufte ein paar Iris, die letzten, die sie noch hatten. Gleich als ich wieder zu Hause war, legte ich sie in den Kühlschrank. Ich hatte gelesen, dass sich Blumen bei niedrigen Temperaturen länger halten. Nur zwei nahm ich mit in mein Zimmer. Inzwischen wusste ich, dass die Menge an Blumen nichts über die Zeit aussagte, die mir im Cinerarium zur Verfügung stand.
    Für diese Reise hatte ich ein Experiment geplant. Ich wollte endlich wissen, wann ich wo dort auftauchte. Ich holte tief Luft und roch an den Blumen.
    Ich wollte Nate wiedersehen, ich musste ihm dringend sagen, dass er im Koma lag, aber ich hielt es für korrekter, erst Susan Bescheid zu geben. Ich hätte es gern vermieden – bei dem Gedanken, ihr mitteilen zu müssen, dass ihre Eltern tot waren, zitterten meine Hände so sehr, dass ich nicht wusste, ob es mir gelänge, die Iris an mein Gesicht zu führen. Doch ich musste aufbrechen. Ich konzentrierte mich auf den Luna Dark und tauchte in die Blütenkelche ein. Der Ring der Blütenblätter zog mich in einen hellen Schlund.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, baumelte das abbröckelnde Schild über mir. Ich hatte recht gehabt: Ich selbst bestimmte, wo ich dort auftauchte.
    Ich stand auf.
    Hinter dem Tor sah ich in den Mondhimmel mit dem schwarzen Loch in der Mitte. Es wirkte fast, als sei es absichtlich dort. Vorsichtig trat ich ein.
    Ich wollte nicht, dass Clayton irgendwelche Pfeile auf mich abfeuerte, weil er mich mit einem Grauen verwechselte.
    Wie auch beim letzten Mal schwebte Stille über den Fahrgeschäften. Weit und breit war niemand zu sehen, ja man hörte nicht einmal ein Quietschen; die Ketten an den Karussellsitzen schienen aus Metall zu sein, aber ich wusste, dass dem nicht so war.
    Ich ging an dem Pferdekarussell und an einem Schießstand vorbei, an dem ein paar Enten vor einem schlampig gemalten Hintergrund hingen, und blieb vor der Geisterbahn stehen. Vermutlich hatten sich die Gäste des Vergnügungsparks dort verschanzt.
    Ich wollte schon über das Geländer klettern und klopfen, da hörte ich einen Pfiff und drehte mich in die andere Richtung. Ich kniff die Augen zusammen.
    Ich konnte die Umrisse eines Mannes erkennen, der mir ein Zeichen machte, näher zu kommen. Es war Clayton. Er war auf das Riesenrad geklettert und saß nun in einer der höchsten Gondeln, um Wache zu halten.
    Ich hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen, auch wenn ich damit gerechnet hatte. Zum Glück blieb er, wo er war, als ich langsam näher kam, und suchte den Horizont nach verdächtigen Bewegungen ab.
    Er hatte wohl begriffen, dass ich ihn nicht aus dieser erloschenen Hölle befreien konnte. Ich hatte ja nicht mal vorgehabt, ihm die guten Neuigkeiten zu überbringen. Gut insofern, als dass er nicht tot war.
    Auf der untersten Gondel des Riesenrads saßen Penny und Susan. Die Kleine hockte auf dem Schoß ihrer Schwester und hielt ein Buch in der Hand, das mir nur allzu bekannt vorkam: Peter Pan. Ich ging zu ihnen.
    Susan lächelte, als sie mich sah, las aber laut weiter. Ich blieb vor den beiden stehen und knetete mir die Hände. Susan begriff, dass ich ihr etwas sagen wollte. Ihr allein.
    »Okay, Penny, lies weiter, ich muss mit Thara reden«, sagte sie, hob die Kleine von ihrem Schoß und setzte sie neben sich.
    Penny hob die Hand zum Gruß, und ich winkte zurück. Sie

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