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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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Luna Dark aufgefallen waren, wirkten hier stumpf und ungepflegt.
    Die Schwester stellte sich neben mich.
    »Arme Mädchen! Ihre Eltern sind bei dem Unfall gestorben. Letzte Woche hat sich hier keiner blicken lassen.«
    »Verstehe«, sagte ich leise.
    »Ihr seid die einzigen Besucher, außer dem Freund des älteren Mädchens.«
    Auf dem Tischchen hinter dem Vorhang sah ich einen Strauß gelber Rosen.
    »Werden sie es schaffen?«, fragte ich die Schwester.
    Sie schien nicht antworten zu wollen und wog ihre Worte ab: »Für die Kleine wird es leichter.«
    Auf der Rückfahrt sagte Christine nichts. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen, als könnte sie so ihre Stummheit rechtfertigen. Ich wusste nicht, was sie am meisten beeindruckt hatte: dass die beiden Mädchen im Koma lagen oder dass ich gewusst hatte, wo ich sie finden konnte. Jedenfalls zweifelte sie jetzt nicht mehr daran, dass ich die Wahrheit sagte, und es kam ihr nicht einmal entfernt in den Sinn, dass ich das Ganze inszeniert haben könnte. Das hier war kein Scherz, und das wusste sie.
    Als wir aus dem Bus stiegen, forderte ich sie auf, nach Hause zu gehen. Sie musste sich erholen, und dazu sollte sie am besten allein sein. Wenn sie Fragen hatte, musste sie sich erst darüber klar werden, welche, nur dann konnte sie auch die Antworten darauf verstehen.
    Wir nahmen ein Taxi und ließen uns zu ihr fahren. Es war nicht weit vom Bahnhof entfernt, aber es war mir lieber, wenn sie nicht zu Fuß ging. Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, sah sie fertig aus.
    Auch mir ging es nicht gut. Der Anblick von Susan und Penny in diesen zwei Krankenbetten und das Wissen, dass ihre »Seelen« irgendwo im Universum schwebten, hatten mir den Rest gegeben. Zum Glück hatte ich das Buch meines Vaters, das würde mich ein bisschen ablenken.
    Zu Hause war meine Mutter beim Kochen.
    Sie sagte etwas, von wegen ich hätte ihr Bescheid geben müssen, aber in meinem Kopf war kein Platz für ihre Vorwürfe.
    Ich ließ meine Schultasche aufs Sofa fallen und ging ins Bad.
    Ich drehte das kalte Wasser auf und wusch mir das Gesicht. Im Spiegel sah ich aus wie eine Tote. Vielleicht würde mir ein bisschen Kaffee guttun. Auf der Fahrt hatte ich die Thermoskanne ausgetrunken.
    Als ich vom Bad zurück in die Küche ging, merkte ich, dass etwas nicht stimmte.
    Im Flur war kein Geräusch mehr zu hören, und es kam mir so vor, als würde es nach Verbranntem riechen. Aber vielleicht war das auch nur die grausame Erinnerung an das Feuer, die zurückgekommen war, um mich zu quälen.
    In der Küche sah ich, dass dem nicht so war.
    Meine Mutter stand reglos neben dem Herd. Sie war in Tränen aufgelöst, schmerzliche, stille Tränen, und sah mich an, als hätte ich gerade das übelste Verbrechen der Welt begangen.
    »Warum, Thara?«, sagte sie mit dünner Stimme.
    Sie weinte, ohne zu schluchzen.
    Ich fühlte mich schuldig und peinlich berührt. So hatte ich meine Mutter schon lange nicht mehr erlebt. Es konnte sich unmöglich nur um die Nacht handeln, die ich ihres Wissens nach bei Christine verbracht hatte. Ich zermarterte mir den Kopf und überlegte, was ich angestellt haben könnte, um eine solche Bestürzung hervorzurufen, aber mir fiel nichts ein.
    »Wie hast du es herausgefunden?« Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle sie alle Erinnerungen auslöschen.
    Neben ihr loderte eine Flamme auf. Ich blickte zum Herd. Ein Buch lag darin, fast schon zu Asche verbrannt.
    Ich stürzte zum Sofa, meine Schultasche war auf den Boden gerutscht.
    »Mama, ich …« Ich drehte mich wieder zu ihr um.
    Aber sie hatte dem Schmerz nachgegeben, einem Schmerz, von dem ich nicht wusste, woher er kam, und sie weinte so laut, dass sie mich nicht hören konnte.
    Ich sah, wie sie sich zum Tisch schleppte und aufstützte, sah, wie sie ihren roten Mantel nahm und den Schlüssel in ihrer Handtasche suchte, als würde sie in einem Grab wühlen.
    Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte sie kaum ansehen. Wieder sah sie mich an, diesmal als hätte sie das schlimmste Verbrechen überhaupt begangen und als hätte ich sie gerade dabei ertappt.
    »Warum?«, schluchzte sie wieder.
    Dann öffnete sie die Tür und ging die Treppe hinunter, ohne sie wieder zu schließen. Ich sah, wie sie Stufe für Stufe verschwand. So wie sie sich bewegte, machte es den Eindruck, dass diese Treppe nicht auf die Straße hinunterführte, sondern an einen gefährlichen, dunklen Ort, an dem sie den Rest ihres Lebens verbringen

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