Ascheträume
rührte mich an. Ich verstand nicht, wie Susan in einer solchen Situation die Nerven behalten konnte und woher sie die Kraft nahm, die Kleine in Sicherheit zu wiegen an einem Ort, der wie eine Sanduhr über dem Abgrund zu schweben schien.
Sie kam zu mir, und ich dämpfte die Stimme.
»Hallo, Susan.«
Sobald die Kleine das Peter-Pan-Buch weiterlas, verschwand das heitere Lächeln aus Susans Gesicht. Also daher nahm sie die Kraft: aus der Lüge.
»Bitte, Thara«, sagte sie mit stumpfem Blick, »sag mir, ob du etwas herausgefunden hast.«
Alle meine guten Vorsätze schienen mir den Rücken zu kehren und sich davonzustehlen. Ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte. Susans Anblick, wie sie hier vor mir stand, wurde von einer Susan im Krankenbett überlagert. Ich bekam das Bild des Beatmungsschlauchs, der ihr aus dem Mund hing, einfach nicht aus dem Kopf.
»Ihr liegt im Koma. Du hattest recht«, sagte ich schließlich und versuchte, mir mein Bedauern nicht anmerken zu lassen. »Aber eure Chancen stehen gut.«
Ich log. Ich konnte nicht anders. Die Stimme der Krankenschwester schwirrte mir im Kopf herum, und ihre Worte hämmerten in meinem Kopf: »Für die Kleine wird es leichter sein« … Ich versuchte zu lächeln. Alles andere konnte ich ihr nicht sagen. Womit die beiden nun zurechtkommen mussten, war schon hart genug. Vielleicht würde sie mich eines Tages dafür hassen, wenn sie wieder in ihren Körper zurückkehrte, aber bis dahin musste ich sie belügen.
»Euren Eltern geht es gut.«
Susan, die schon die ganze Zeit auf diese Antwort gewartet hatte, schien sich zu entspannen. Dieses Mal war ihr Lächeln echt.
»Dem Himmel sei Dank!«, flüsterte sie.
Aber der Himmel war eine harte, knochenfahle Kuppel.
Ich fühlte mich miserabel, weil ich so eine schwerwiegende Äußerung von mir gegeben hatte. Eine innere Stimme forderte mich auf, alles zurückzunehmen und die Wahrheit hinauszuschreien, aber mein Mund blieb fest verschlossen.
»Dein Freund hat dich auch besucht. Er hat dir einen Strauß gelbe Rosen mitgebracht«, fuhr ich fort.
Ich dachte, wenn ich diese Farce mit einer Wahrheit abschloss, würde ich mich besser fühlen.
Doch Susan sah mich verdutzt an.
»Freund?«, sagte sie überrascht. »Ich habe keinen Freund.«
Diese Nachricht verwirrte wiederum mich und ich wankte. Es schien fast, als habe Susan mir absichtlich widersprochen, um mir zu beweisen, dass auch alles andere nicht stimmte. Aber ich war mir sicher, dass die Krankenschwester einen Freund erwähnt hatte. Vielleicht hatte ja sie sich geirrt.
»Entschuldige, das muss ich wohl missverstanden haben.«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Dann können wir jetzt wohl nichts weiter tun, als abzuwarten.«
Ich nickte. Wahrscheinlich hatte sie recht.
»Dieses Buch«, sagte ich und deutete unauffällig auf Penny, »habt ihr das von Nate?«
Susans Miene hellte sich auf.
»Ja, er ist extra zurückgekommen. Er ist echt süß. Er hat es meiner kleinen Schwester gebracht.«
Ich lächelte. Ich hatte nicht erwartet, dass Nate so etwas tun würde, und ich freute mich. Gleichzeitig aber gefiel es mir nicht, wie Susan von ihm sprach.
»Er ist ein so faszinierender Junge! Zurückhaltend, ein Einzelgänger … So einen wie ihn habe ich noch nie getroffen. Und diese Augen!«
Ich unterbrach sie.
»Ja, und wie es aussieht bin ich die Einzige, mit der er sich versteht.«
Susan kicherte.
»Okay, okay, ich habe verstanden. Keine Sorge, ich nehme ihn dir nicht weg.«
Ich fuhr zusammen.
»Was? Nein, so habe ich das doch nicht gemeint …«, stammelte ich aufgeregt, ohne zu begreifen, warum eigentlich.
»Ja, klar!«, erwiderte Susan vielsagend.
Ich wurde ein bisschen verlegen. Zwischen mir und Nate war nichts. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich so reagiert hatte.
»Weißt du, wo er jetzt ist?«, fragte ich, um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
Susan überlegte kurz.
»Er hat etwas von einer Bibliothek gesagt … Angeblich hat er dort Informationen über diesen Ort hier gefunden, weil er ja jetzt lesen kann …« Sie zuckte mit den Schultern. »Er ist eindeutig ein komischer Typ.«
Ich hatte keine Lust, Susan aufzuklären. Es gefiel mir, dass Nate und ich Geheimnisse hatten, und das sollte auch so bleiben. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Beziehung weniger intensiv würde, wenn wir sie mit anderen teilten.
»Er ist jedenfalls in diese Richtung gegangen«, schloss Susan und zeigte auf einen Punkt hinter der Achterbahn.
Ich bedankte
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