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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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nicht nur ein. Die Luft flirrte in der Gluthitze. Kein Mensch wäre heil aus den Flammen herausgekommen, dennoch stand diese Gestalt ungerührt und reglos mitten auf der Brandruine. Auch die Polizisten hatten sie bemerkt und zielten mit Pistolen auf sie. Das war zwar sinnlos, aber sie waren genauso schockiert wie ich. Einer nahm ein Megafon und schrie: »Gib auf!«
    Dann wiederholte er es noch einmal leiser. Es war zwecklos. Es hatte keinen Sinn weiterzumachen, es hatte keinen Sinn, einen Toten zu bedrohen.
    Ja, einen Toten. Denn diese Gestalt war dieselbe, die diese andere Schule aus den Nachrichten in Brand gesteckt hatte. Sie konnte nicht überlebt haben. Es war derselbe Mann. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte er langes Haar gehabt und einen knöchellangen, eleganten Mantel getragen, der sich im glühenden Wind bauschte.
    Auch wenn sich die Bilder in der heißen Luft verzerrten, war ich mir absolut sicher, dass das, was ich da sah, real war, und entsprechend entsetzt war ich.
    Die reglose Gestalt auf dem Dach mit der brennenden Hölle im Rücken hob eine Hand.
    Und deutete auf mich.
    Meine Freunde brachten mich nach Hause und taten so, als würden sie gar nicht bemerken, wie durcheinander ich war. Christine sagte, ich könne sie anrufen, wenn ich mit jemandem reden wolle. Sie ließ mich erst allein, als sie mich artig die Treppen hinaufgehen sah.
    Meine Mutter war in der Apotheke und hatte einen Zettel auf den Tisch gelegt, auf dem sie mir mitteilte, dass ich ihr hätte Bescheid sagen müssen. Ich zerknüllte ihn und warf ihn in meinem Zimmer in den Papierkorb.
    Ich schaltete den Computer an. Ich musste etwas überprüfen.
    Ich hatte eine neue E-Mail bekommen, deren Icon am Rand des Bildschirms aufleuchtete. Ich öffnete sie. Wieder war sie von diesem Mr. Spectre . Diesmal war sie nicht leer, sondern bestand aus fünf Zeichen, die mir so vorkamen, als hätte man sie aufs Geratewohl in die Tastatur getippt. Zwei Punkte, ein Gedankenstrich, eine geschlossene Klammer und ein Gleichheitszeichen. Ich löschte sie.
    Dann nahm ich mein Handy und rief Christine an.
    »Komm her. Allein«, sagte ich in einem kalten, ernsten Tonfall.
    Als ich die Haustür öffnete, stand sie schon davor. Vielleicht war sie gar nicht weggegangen. Sie kannte mich zu gut.
    »Was gibt’s?«, fragte sie und versuchte hinter den Schleier der Nervosität zu blicken, den ich wie ein Leintuch auf mir spürte.
    »Ich kann dir beweisen, dass alles wahr ist.«
    »Was?«, fragte sie, als hätte sie nicht begriffen.
    Aber das hatte sie sehr wohl.
    »Das Cinerarium. Die Aschewelt. Nate …«
    Sie seufzte und versuchte die Sache ins Lächerliche zu ziehen.
    »Hör mal, Thara, mir ist klar, dass du möglicherweise durcheinander bist, nachdem du den Brand gesehen hast, aber verlang bitte nicht von mir, dass ich jetzt auch noch verrückt werde.«
    »Ich habe Beweise!«
    Ich sah sie so eindringlich an, wie ich nur konnte.
    »Wenn du mir vertraust, wenn du meine Freundin bist, dann komm mit, ohne Fragen zu stellen.«
    Christine überlegte eine Weile.
    Mein Verhalten schien sie ziemlich zu beunruhigen. Sie war es nicht gewöhnt, mich in einem solchen Zustand zu sehen. Wahrscheinlich war sie deshalb einverstanden. Sie hoffte wohl, dass ich mir nur einen Spaß mit ihr erlaubte und meine angeblichen Beweise mich verraten würden.
    »Ach, was soll’s …« Sie biss sich auf die Lippen.
    Eine Viertelstunde später stiegen wir am Busbahnhof aus der U -Bahn. Die Hochbahn über uns, auf der Züge mitten ins Stadtzentrum fahren konnten, warf einen langen, dunklen Schatten.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Christine, während ich die Ampel im Blick behielt.
    »In einer Stunde wirst du es wissen.«
    Kurz hatte ich den Eindruck, ihre Geduld überstrapaziert zu haben. Christine sah sich nervös über die Schulter, als würde sie es ernsthaft in Betracht ziehen, abzuhauen. Doch sie tat es nicht.
    Wir überquerten die Straße und kamen auf den großen Platz, an dem die Busse abfuhren. Ich ging zu den Fahrplänen. Der Bus, der mich interessierte, war die Nummer acht.
    Wir setzten uns und warteten. Ich merkte, dass meine Freundin zweimal drauf und dran war, mir weitere Fragen zu stellen. Ich tat so, als merkte ich es nicht, nahm die Thermoskanne und trank einen Schluck Kaffee.
    Als der Bus vor unserer Bank hielt, gingen die Türen mit einem erschöpften Schnauben auf.
    »Komm, gehen wir!«, trieb ich Christine an, die immer weniger überzeugt wirkte.
    Wir setzten uns in die

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