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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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letzte Reihe, damit wir ungestört sein konnten und alles mitbekamen, was in dem Fahrzeug geschah. Als alle Passagiere eingestiegen waren, schloss der Fahrer die Türen und wir fuhren los.
    Wir blickten aus dem Fenster auf die Hochhäuser, die immer niedriger wurden, je weiter wir uns vom Stadtzentrum entfernten. Auch der Verkehr lichtete sich, und fast ohne es zu merken, fuhren wir bald auf einer Landstraße.
    Erst jetzt enthüllte ich Christine unser Ziel. Nun gab es für sie kein Zurück mehr, denn unsere Haltestelle war die erste.
    »Und was sollen wir in diesem Kaff?«, fragte sie genervt.
    Sie meinte die Kleinstadt, in die wir fuhren.
    »Penny und Susan Digger«, sagte ich und blickte geradeaus.
    Ein paar Sitze weiter vorn gab ein Mann seinem Hund etwas zu fressen.
    »Wer ist das?«
    »Die habe ich im Cinerarium getroffen.«
    Christine gab einen Laut von sich, der »na klar« heißen sollte, dann sagte sie: »Aber wenn sie in diesem … Cinerarium sind, wie können sie dann gleichzeitig woanders sein? Schlafen sie ein wie du? Seid ihr der Klub der Aschenbecher?«
    Ich lächelte verbittert. Ihre Zweifel ärgerten mich noch immer, aber bald würde sie sich der Wahrheit stellen müssen.
    In der Ortsmitte stiegen wir aus. Es war kein Kuhkaff wie Gorey, zumindest waren ein paar Leute auf der Straße unterwegs.
    Ich besah mir die Wegweiser. Ein Pfeil wies zu der Straße, in die ich wollte.
    Bevor ich aus dem Haus gegangen war, hatte ich im Internet recherchiert. Hier gab es nur ein Krankenhaus. Wenn Penny und Susan eingewiesen worden waren, dann konnten sie nur hier sein. Der Unfall, von dem sie mir erzählt hatten, war ganz in der Nähe passiert.
    In wenigen Minuten hatten wir das Gebäude erreicht – ein weißer Kasten mit einem weitläufigen Park davor. Ein paar Krankenwagen parkten neben dem Eingang. Als wir uns näherten, blendete uns die Sonne, die von den makellosen Fenstern reflektiert wurde.
    »Wenn du dich behandeln lassen willst, unterstütze ich dich voll und ganz«, sagte Christine, kurz bevor wir durch die Schiebetüren gingen.
    Die farbige Krankenschwester an der Pforte telefonierte gerade. Als sie uns sah, beendete sie schnell das Gespräch und legte auf.
    »Guten Tag«, sagte sie. »Was kann ich für euch tun?«
    »Liegen Penny und Susan Digger hier?«, fragte ich.
    Die Freundlichkeit, mit der sie uns empfangen hatte, verschwand aus ihrem Gesicht wie ein Serum aus einer Spritze.
    »Seid ihr Freundinnen?«
    Sie blickte sich um. Ich wusste nicht, was ich am besten antworten sollte und ob die Krankenschwester uns wohlgesonnen war, aber das Wissen, dass die beiden Mädchen hier waren, gab mir neuen Schwung.
    »Ja«, sagte ich also.
    Die Frau seufzte und legte einen Zettel auf den Tresen.
    »Unterschreibt bitte hier.«
    Lächelnd nahm ich den Stift, den sie mir reichte. Ich unterschrieb und schob das Blatt weiter. Christine rührte sich nicht, sie war wie versteinert. Ich warf ihr einen Blick zu, der ihr bedeuten sollte, nun bloß nicht alles zu ruinieren.
    Mit leicht zitternder Hand unterschrieb sie. Ich hatte sie wohl beeindruckt.
    »Ich bringe euch in das Zimmer der Mädchen«, sagte die Krankenschwester und nahm das Blatt.
    Wir folgten ihr in kurzem Abstand durch die Flure.
    »Das ist eine der absurdesten und unheimlichsten Geschichten …«, flüsterte Christine und starrte auf die Holzpantinen der Krankenschwester, die über das Linoleum klapperten.
    »Nein, Christine, es ist lediglich die Wahrheit«, versicherte ich ihr.
    Die Schwester blieb vor einer Tür stehen und drehte sich zu uns um.
    »Ich darf euch eigentlich nicht da hineinlassen«, sagte sie mit gerunzelter Stirn. »Das ist nur den engsten Angehörigen gestattet, aber in Anbetracht der Umstände …«
    Sie drückte die Klinke herunter und ließ uns eintreten.
    Die Begeisterung über meine gute Intuition wurde von einem eisigen Wind hinweggefegt. Es schien uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Der Geruch des Desinfektionsmittels weckte Kindheitserinnerungen an die schreckliche Zeit in Krankenhäusern. Vor uns lagen Susan und Penny in zwei blütenweißen Betten. Beide waren im Koma.
    Neben den Betten zeichneten Geräte ihre Körperfunktionen auf. Die kleine Penny wirkte zufrieden, jemand hatte einen Plüschhasen neben sie gelegt.
    Susan hingegen war in einem ernsteren Zustand: Ein Gummiröhrchen steckte in ihrem Hals, und eine Plastikpumpe ermöglichte ihr das Atmen.
    Ich umschlang meine Schultern. Ihre blonden Haare, die mir im

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