Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
wurde, jedoch den Eindruck eines Zuhauses. Hier herrschte Leben – es war viel mehr als nur ein Ort, an dem man sich kurz aufhielt.
Ash blickte über die Gleise zu einem frei stehenden kleinen Gebäude, das man das Kuli-Haus nannte. In seinem Schatten kauerten einige Gepäckträger, die eine Zigarette herumgehen ließen. Zwischen den gestapelten Gepäckstücken flitzten kleine Kinder herum – Waisen, Ausreißer oder solche, die einfach nur verloren gegangen waren. Sie rannten über die Schienen und zwischen den Ständen umher, um Müll aufzusammeln – hauptsächlich leere Wasserflaschen aus Plastik –, oder bettelten die wenigen westlichen Reisenden, die beschlossen hatten, Indien mit der Bahn zu bereisen, um Almosen an. Ein Junge, jünger als Lucky, balancierte ein mitgenommenes Blechtablett auf dem Kopf, um den Angestellten im Signalhäuschen ein Dutzend kleiner Gläser voll milchigem Tee zu bringen.
Wo Parvati wohl steckte? Ihr Handy war tot. Dabei vermisste Ash sie nicht nur und machte sich Sorgen um sie – er war auch auf sie angewiesen. Dies war ihr Revier und er brauchte ihre Unterstützung. Die Begegnung mit dem Jagannatha und Savages Loha-Mukhas verfolgte ihn noch immer und machte ihm mehr als deutlich, dass dies kein Spiel war. Die Risiken waren gigantisch und dabei kannte Ash noch nicht einmal alle Regeln.
Einfach gesagt, hatte er Angst. Angst, dass Savage noch mehr Asse im Ärmel hatte. Dass das Soma nicht richtig gewirkt hatte, dass er völlig überfordert war. Er hatte Parvati auf dem Friedhof eine Nachricht hinterlassen, einen Brief, den er unter den Trümmern des Mausoleums versteckt hatte. Natürlich war es unwahrscheinlich, dass sie ihn jemals finden würde, aber was hätte Ash sonst tun können?
Liebe Parvati,
Savage bringt seine Loha-Mukhas mit dem 2841-Zug nach Madras – nur für den Fall, dass du das noch nicht weißt. Ich habe keine Ahnung, was er im Süden will, aber ich habe mit meinem treuen Padawan John die Verfolgung aufgenommen.
Es tut mir leid, was ich gesagt habe, und dass ich nicht auf dich gehört habe, tut mir sogar noch viel mehr leid. Du hattest recht und ich lag voll daneben. Mit einer besseren Entschuldigung kann ich leider gerade nicht dienen, weil ich einen Zug erwischen und die Welt retten muss. Mal wieder.
Dein Freund
Ash
Nicht gerade der beste Brief aller Zeiten. Ash hatte viel mehr schreiben wollen – darüber, wie unfair Gemmas Tod war, dass er etwas Gutes tun und mehr sein wollte als nur Kalis Werkzeug. Darüber, wie neu dieser Heldenkram trotz all seiner früheren Leben für ihn war. Und hey, wer war überhaupt fehlerfrei? Außerdem hatte er ja nie behauptet, perfekt zu sein. Und ehrlich gesagt hätte Parvati ihm ruhig alles erklären können, anstatt die arrogante Prinzessin raushängen zu lassen. Klar, sie war seine beste Freundin und so, aber sie konnte auch ganz schön dickköpfig sein – und wenn sie ihr Riesen-Ego mal kurz einen Gang runtergeschaltet hätte, dann hätte sie auch mitbekommen, was Ash ihr eigentlich sagen wollte, und sie alle würden nicht in diesem Mega-Schlamassel stecken! Denn genau genommen hatte sie daran genauso viel Schuld wie er, auch wenn sie das natürlich niemals zugeben würde.
Letztendlich hatte Ash jedoch beschlossen, nichts davon zu schreiben. Das würde er sich aufheben und bei nächster Gelegenheit lieber persönlich besprechen.
Als Ash erfahren hatte, dass sie im Schlafwagen untergebracht waren, hatte er sich einen luxuriösen Wagen, Personal mit weißen Handschuhen und kleine, erlesen eingerichtete Abteile mit Porzellanwaschbecken vorgestellt. Also quasi den Orient Express. Stattdessen näherten sie sich einem Waggon, der kaum mehr als eine große Stahlkiste war und Eisenstangen vor den Fenstern hatte. John warf einen prüfenden Blick auf den Fahrschein. »Das ist unsrer«, sagte er.
»Du machst wohl Witze! Das ist ein Viehwaggon, kein Reiseabteil.«
»Mehr als die dritte Klasse war im Budget nicht drin.«
Seufzend stieg Ash ein. Der Wagen bestand aus offenen Abteilen auf der einen und einem schmalen Korridor auf der anderen Seite. Jedes Abteil verfügte über zwei dreistöckige Klappliegen, die sich gegenüberlagen. Tagsüber hockte jeder auf den unteren Liegen, während die oberen eingeklappt wurden. Jeden Abend kam dann der Schaffner, um die oberen Etagen aufzuklappen und jedem Passagier ein Kissen und eine Decke auszuhändigen. Dann wurde das Licht ausgeschaltet.
Alte Frauen in feinen Saris
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