Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
kauerten auf ihren Sitzen, während Geschäftsmänner mit Schnurrbärten in ihre Handys brüllten und Mütter mit schreienden Kindern und plärrenden Babys kämpften. Ein Junge, dessen Zeigefinger in seiner Nase festgewachsen zu sein schien, beobachtete Ash, als dieser sich auf seinem Platz einrichtete.
Als der Zug den Bahnhof verließ, spähte Ash aus dem Fenster. Fahrgäste sprinteten über die Bahnsteige, um noch schnell durch die offenen Türen zuzusteigen, unterstützt von anderen Pendlern, die es bereits geschafft hatten. Der Zug fuhr durch wahre Prachtstraßen von Bahngleisen, gesäumt von pastellfarbenen Regierungsgebäuden. An glitzernden neuen Hochhäusern schlängelte er sich vorbei, um anschließend an den Elendsvierteln vorüberzudüsen, von denen die Stadt eingerahmt wurde.
Dann ratterten sie sanft auf höher gelegenen Gleisbetten durch endlose Reisfelder, während Kalkutta hinter einer Mauer aus wogenden Palmen verschwand.
In dieser Nacht schliefen alle außer Ash. Das Rumpeln des Waggons und das Quietschen der Räder schien kein Ende zu nehmen. Die Ventilatoren über Ash dröhnten wie ein ganzer Schwarm Moskitos. Konnten sie die Dinger nicht hin und wieder mal ölen? Der Lärm trieb Ash in den Wahnsinn.
Er dachte über Ujba nach und darüber, was er über Ashs frühere Leben gesagt hatte. All die Menschen, die er gesehen hatte, gingen ihm durch den Kopf, Gesichter aus aller Welt, die Tausende Jahre zurückreichten. Irgendwo inmitten dieser Menge war auch Ashoka gewesen, den Ash zu gerne finden würde, um mehr über den Koh-i-Noor zu erfahren. Nun, da Savage ihn hatte, war dies umso dringender. Während der Zug also vor sich hinzuckelte, die Ventilatoren sirrten und die übrigen Passagiere schnarchten, schloss Ash die Augen.
Er dachte an die Männer und Frauen aus seiner Vision, die Krieger der Vergangenheit. Allerdings suchte er lediglich die Oberfläche seines Bewusstseins ab und drang nicht tiefer vor, um den Zugang zu dem Wissen zu finden, das in seiner Seele verborgen lag. Also begann Ash, die Welt um sich herum auszublenden. Er ließ sich vom Schaukeln des Waggons treiben, bis er das Gefühl hatte zu schweben, anstatt in seiner Schlafkoje durchgeschüttelt zu werden. Die Geräusche ringsum verstummten allmählich, während er den Bezug zu sich selbst verlor und in seinem Inneren versank.
Er kam an graubärtigen Männern und Frauen in dicken Roben, geschmückt mit schweren, antiken Edelsteinen vorbei. Vor ihm und um ihn herum gab es weitere Gestalten, einige mit Schwertern oder Speeren, andere mit Schriftrollen und Büchern oder Tintenfässchen und Schreibfedern. Ash fragte sich, was für Leben sie wohl geführt hatten. Hatten sie ihre Schlachten gewonnen oder verloren? Parvati hatte ihm einmal erzählt, dass der Ewige Krieger auf beiden Seiten kämpfen konnte, für das Gute oder das Böse, doch während Ash immer weiter in seine früheren Leben vordrang, begriff er, dass es nicht so einfach war. Man konnte beides sein, Held oder Schurke, manchmal sogar gleichzeitig. Er war Brutus gewesen, der Römer, der Julius Caesar getötet hatte, um die Republik zu retten, doch stattdessen nur die Ära der Cäsaren eingeleitet hatte. Indem er versucht hatte, das Richtige zu tun, hatte er Tyrannei und die Herrschaft von Caligula und Nero über das Land gebracht.
Ash war mit den Mongolen geritten, die sich mordend ihren Weg von der Steppe bis ins Herz Europas gebahnt hatten. Auf den Knochen ihrer Opfer errichteten sie das erste Weltreich und ermöglichten den Austausch von Wissenschaft, Technologie und neuen Ideen zwischen dem Osten und dem Westen. So schlimmes Übel, das zu etwas Gutem geführt hatte.
Welche Rolle würde er diesmal spielen? Held oder Bösewicht? Er wusste es nicht. Im Augenblick brauchte er eigentlich auch nur eines: einen bestimmten Mann, der sowohl als auch gewesen war.
Ashoka. Wo steckst du?
Kapitel 36
Ashoka blickt auf die Leichen seiner gefallenen Soldaten. Als er den brennenden Diamanten hoch über den Kopf hebt, schießen Lichtstrahlen aus dem Kristall und verdrängen die Dunkelheit. Das reine weiße Licht leuchtet auf den blutleeren Gliedern, den leeren Augen und den bleichen Lippen. Die Körper der Toten sind von Wunden übersät und ihre Kleidung ist starr von getrocknetem Blut.
»Steht auf, Brüder, erhebt euch!«, drängt er sie und hält ihnen den Koh-i-Noor nachdrücklich entgegen.
Seine Leibwächter hinter ihm werden unruhig und Parvati stößt ein warnendes Zischen
Weitere Kostenlose Bücher