Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
ihm wie ein offenes Buch.
Der Verkehr teilte sich und der gelbe, eingedellte Bus mit seiner hoch aufgetürmten Fracht aus Kisten, Koffern, Kartons und Passagieren kam zum Vorschein, wie ein Wal, der sich durch einen Schwarm kleiner Fische schob.
Der Mann, der noch immer auf seine verbrannte Hand pustete, bemerkte ihn nicht.
Dann erblickte er den Bus. Entsetzt starrte er ihn an und fummelte hektisch an seinem Lenkrad und der Kupplung herum. Der Bus bremste ab und eine Mauer aus Staub erhob sich.
Gerade noch rechtzeitig düste das Taxi zwei Meter rückwärts, als der Bus auch schon an ihm vorüberdonnerte und die Passagiere dem Taxi wild gestikulierend Beschimpfungen entgegenschleuderten.
Ash schüttelte den Kopf. Das alles hatte er gesehen, bevor es wirklich eingetreten war.
Er konnte in die Zukunft schauen.
Er rieb sich die Stirn und wäre nicht einmal überrascht gewesen, tatsächlich ein drittes Auge vorzufinden, doch da war nichts. Dafür summte der Kali-Aastra in ihm lauter als je zuvor. Das Soma hatte ganze Arbeit geleistet.
Nun war Ash bereit, sich Savage zu stellen.
Kapitel 35
»Du siehst irgendwie anders aus«, stellte John fest.
John hatte einige Gegenstände vom Friedhof retten können, sodass Ash zumindest saubere Kleidung zum Wechseln hatte: eine weite Hose und eine locker sitzende Tunika. Für eine Rupie hatte er sich ein Stück Seife ausleihen können, um sich an einer Wasserpumpe Staub und Schlamm abzuwaschen. »Besser?«, entgegnete Ash.
»Schwer zu sagen.«
»Ich nehme jetzt Vitamine.«
»Solange du sonst nichts einwirfst.«
Ash rollte das Katar aus dem Schal und legte beides zusammen mit frischen Kleidern und einigem anderen Reisegepäck, wie Kompass, Taschenlampe und Fernglas, in einen Rucksack. John hatte einen Abstecher zum Bahnhof gemacht und herausgefunden, dass der 2841-Zug die Westküste Indiens entlangfuhr, den ganzen Weg bis nach Madras. Ash hatte zwar keinen Schimmer, warum Savage nach Süden wollte, doch nachdem Parvati nicht da war und ihm auch sonst nichts Besseres einfiel, würde er ihm einfach folgen. Ash zurrte den Rucksack zu. »Du weißt, dass du nicht mitkommen musst. Es wird nicht ganz ungefährlich.«
John packte seine eigenen Siebensachen zusammen. »Ich bin schuld, dass du überhaupt in diesem Schlamassel steckst. Wäre nicht richtig, es dich jetzt allein ausbaden zu lassen.«
»Haben wir einen Plan?«
John nickte. »Savage finden. Den Koh-i-Noor zurückholen. Und du machst, was du am besten kannst.«
»Und das wäre?«
»Den Leuten in den Arsch treten?« John fuchtelte im Kung-Fu-Style in der Luft herum. »Du weißt schon, so in der Art.«
Ash schulterte den Rucksack und sah sich ein letztes Mal um, um sicherzugehen, dass er auch nichts vergessen hatte. »Wie kommen wir zum Flughafen?«
»Gar nicht. Schlechte Neuigkeiten: kein Jimmy«, antwortete John. »Motorschaden.«
»Wie schlimm?«
»Das Steuerbord-Triebwerk ist mitten über dem Indischen Ozean abgefallen. Jetzt segelt er zurück.«
Sie waren noch nicht einmal aufgebrochen, da wurde ihr Plan schon über den Haufen geworfen. Ash hatte gehofft, wenigstens einen Tag einzusparen, indem sie nach Madras flogen. So weit im Süden war er bisher noch nie gewesen und er wusste nicht, wie es dort war. Nachdem Madras früher zu den Hauptquartieren der Ostindien-Kompanie gehört hatte, kannte Savage sich dort sicher bestens aus. Sie konnten es sich also nicht leisten, seine Spur wieder zu verlieren – andererseits war es wohl nicht ganz einfach, ein unauffälliges Versteck für eine ganze Armee von Statuen zu finden. Noch dazu, wenn eine davon fünfundzwanzig Meter groß war. »Was machen wir dann?«
John drückte Ash einen Zettel in die Hand. Ein Ticket. »Wir nehmen den Zug.«
Ash warf seinen Rucksack auf den Boden. Der Zug hatte drei Stunden Verspätung, also blieb ihnen nichts anderes übrig, als am Bahnsteig zu warten. Die Welt könnte kurz vorm Untergang stehen und er konnte sie nicht retten, weil eine Kuhherde die Schienen verstopfte. Harry Potter hatte nie solche Probleme gehabt.
Also hockte Ash da und drehte Däumchen am Bahnhof von Kalkutta, einem gewaltigen Empiregebäude, das zu Zeiten des Raj der ganze Stolz der britischen Herrscher gewesen war. Die einstige Pracht war noch erkennbar, doch wie so vieles andere in dieser Stadt erlag das Gebäude allmählich dem Verfall. Ausgezehrt und bröckelnd, vermittelte der Bahnhof, der mit uralter Technik und einem ganzen Heer an Arbeitern betrieben
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