Ashby House
nicht nur angelegt, sondern ganz besonders ausgeprägt vorhanden. Was Laura von den meisten anderen schlechten Menschen unterscheidet, ist die Tatsache, dass diese Regungen bei ihr an einen unverwüstlichen Optimismus gekettet sind.
Um ihr den brutalen Umgang mit ihrer gehbehinderten Schwester zu verzeihen, braucht sie dringend einen Sympathiepunkt. Aber woher nehmen? Sie ist die betörende Frau im Schatten, sie ist steter Quell von Ärger. Was soll sie auch anderes bringen als Ärger, wenn alle Erwartungen, die man an sie stellen könnte, durch den Triumph ihrer Schwester schon mehrfach übererfüllt wurden? Lucille ist Lucille Shalott. Laura ist ihre Schwester. Das muss reichen.
Bei all dem Überfluss an üblen Unterströmungen besitzt Laura dennoch etwas, das man Herz nennt, womit jedoch nicht das Organ gemeint ist, das Blut durch den Körper pumpt. Wenn Laura Böses schafft, dann immer aus der wagemutigen Hoffnung heraus, am Ende möge alles gut werden. Für sie selbst und manchmal auch für die, die ihr nahestehen.Sie strengt sich an, sie bemüht sich, und vielleicht ist es diese sichtbare Anstrengung, die Männer abschreckt und die Laura zielstrebig in die Arme der am wenigsten zu ihr passenden Vertreter des anderen Geschlechts treibt. Trotz ihrer Schönheit, ihrer guten Umgangsformen, ihres beachtlichen Repertoires an sexuellen Tricks und Kniffen und trotz ihrer naiven Durchtriebenheit hat Laura noch nie die Worte »Ich liebe dich« gehört. Noch nie. »Traurig, aber wahr« wäre an dieser Stelle nicht nur eine Beleidigung, sondern auch eine maßlose Trivialisierung. Denn auch wenn sie die Liebe in ihrem Umfeld immer wieder hat sich aufbäumen und vergehen sehen, so trägt die kleine Schwester Shalott eine innere Sehnsucht mit sich herum, die manchmal an ihr zerrt wie das Heimweh eines kleinen Kindes, welches das erste Mal ohne seine Eltern ist.
Dass sie Heimweh hat nach einem Ort, den sie nicht kennt, macht es ebenfalls nicht leichter. Niemals würde sie sich eingestehen, dass es dieses Gefühl ist, das einen gemeinsamen Nenner mit einer Spezies bildet, die ihr verhasst ist: den Lucille-Shalott-Verehrern. Was den Fans der Star, das ist Laura die Liebe. Würde sie sich dies eingestehen, dann müsste sie konsequenterweise feststellen, dass ihre Vorstellungen von der Liebe ebenso romantisiert und fehlerhaft sind wie die Vorstellungen, die die Bewunderer von Lucille haben.
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Wenn Sie in diesem Bericht so weit gekommen sind, ohne ein Fünkchen Sympathie für Laura zu verspüren, dann wird sich dies im weiteren Verlauf kaum ändern.
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Möglicherweise wird das Zusammentreffen mit Hector Slasher Lauras Leben beträchtlich verändern. Die drei gewichtigen Worte werden fallen. Doch das weiß Laura zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ebenso wenig weiß sie, dass Hector Slasher ihr nicht nur gewachsen, sondern durchweg ebenbürtig ist. Vielleicht steuert sie auf den gewaltigsten zwischenmenschlichen Zusammenprall ihres Lebens zu. Vielleicht aber hat Laura zum ersten Mal in ihrem Leben einen Mann getroffen, der zu ihr passt. Würden Sie es Ihr gönnen?
Ein unbefangener Betrachter hätte in der Szenerie fast so etwas wie Gemütlichkeit ausmachen können. In der Bibliothek prasselte ein Feuer (dezent platzierte Radiatoren, die nach frisch ausgepacktem, erhitztem Plastik rochen, trugen überdies ihren Teil zur Erwärmung bei), diverse Tiffany-Lampen verbreiteten ein warmes, weiches Licht, Holzbalken erwachten durch die aufsteigende Hitze aus ihrem Dornröschenschlaf und kommentierten die Störung mit Knirschen und Knacken. Lucille hatte sich aus dem Rollstuhl gewuchtet und saß, die Beine hochgelegt, auf einem Sofa, um die Schultern und über die Beine hatte sie sich Decken aus Kaninchenfell gelegt. Auf einem Beistelltisch dampfte es aus einer Teekanne. Sie hatte gerade so viel Morphium genommen, dass sie tief entspannt und dennoch ausreichend konzentriert war, ihre Aufzeichnungen zu überarbeiten. Vielleicht war ihr Equilibrium teilweise auf die Abwesenheit ihrer Schwester zurückzuführen.
Die Wirkung der Droge hatte Lucilles Gesichtszüge verändert. In diesem Licht wäre sie als Endzwanzigerin durchgegangen. Steerpike konnte nicht umhin, sie für eine gestohlene Sekunde bewundernd anzuschauen, bevor er die Türzur Halle hinter sich zuzog und sich seiner Arbeitgeberin näherte. Sie schaute zu ihm auf, und er erinnerte sich an die erste Arbeit, die er von ihr in einem Hochglanzmagazin gesehen hatte. Johnny
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