Ashby House
sicherer sein, Electra. Sie ist kein schlechter Mensch. Eigentlich mag ich sie sehr gern.«
»Das wird sie sicher freuen zu hören, wenn sie erfährt, was du mit ihr gemacht hast.«
»Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.«
»Aber was um Himmels willen ist dann mit den beiden geschehen?«
»Es gibt außer den Betroffenen nur einen, der das vermutlich weiß.«
»Wer soll das sein?«
»Ein ehemaliger Mitarbeiter des Secret Service.«
»Ja, worauf warten wir dann? Wie kriegen wir den vor die Kamera?«
»Das ist das Problem. Er ist in Ashby House. Er arbeitet dort als Butler.«
Der Riss in der Wand der Bibliothek war breiter geworden. Unter der zerfaserten Tapete und dem zerbröselten Putz kam das nackte Mauerwerk zum Vorschein. Doch Laura und Steerpike waren so vertieft in ihr Gespräch, dass ihnen diese Veränderung nicht weiter auffiel, ebenso wenig wie die Geräusche, die das Haus machte: ein Mahlen, Ächzen, ein stumpfes Stampfen, sehr verhalten allerdings, wie ein Murmelnoder als knirsche das Haus im Schlaf mit den Zähnen.
»Diese Chris, von der Lucille geschrieben hat, ist die ›Frau im Schatten‹.«
»Die Hauptfigur des Projekts, an dem sie arbeitete?«
»Richtig. Und es handelt sich um eine historische Figur. Lucille hat ihre Spur aufgenommen und die führte …«
»… nach Ashby House.«
»Wo sie sich verliert.«
»Wenn diese Chris nun im Turmzimmer verschwand, dann
wusste
Lucille also, was das Haus anrichten kann?«
»Das ist sogar der Grund für sie gewesen, es zu kaufen.«
»Und wer war diese Frau?«
»Im Grunde war sie keine Frau im Schatten, sondern eine, die hauptberuflich im Licht stand. Chris war Lichtdouble. Sie arbeitete als Stand-in für Greta Garbo.«
Laura wurde ungeduldig. »Aber warum sollte das Leben eines Lichtdoubles abendfüllend sein?«
»Lucille hat dazu Folgendes geschrieben:
Wer wäre besser geeignet, den Ruhm und seine Absurdität zu messen, als die Arbeiter Hollywoods, die ihm so nahekamen, die im Licht der Götter badeten, um dann wieder in die letzte Reihe gestoßen zu werden
?
Welche Karriere war fragiler – die des Stars oder die des Doubles? Wer hatte am Ende weniger gewonnen und mehr verloren
?«
»Aber das erklärt nicht, warum sie sich ausgerechnet Greta Garbos Double ausgesucht hat. Haben Sie von Evelyn Moriarty gehört? Sie hat jahrelang Marilyn gedoubelt. Ich habe sie kennengelernt – eine fantastische Frau. Mittlerweile hat sie sich komplett in Marilyn verwandelt.«
»Lucille hat sich Chris ausgesucht, weil sie sich in der Materie auskannte. Sie ist das erste Mal in einem Fotoband aufden Namen gestoßen, den sie interessanterweise von Ihnen geschenkt bekam.«
»Ich erinnere mich. Das war ein Buch mit den Arbeiten von Clarence Sinclair Bull, dem Studiofotografen von Metro Goldwyn Mayer.«
»Und dort findet sich eine Abbildung von Chris mit einem Kommentar, der Lucille neugierig gemacht hat.«
Er nahm Lucilles Notizbuch und las vor: »
Von Chris, Greta Garbos Double, ist nicht viel mehr bekannt als ihr Vorname
. Ihre Schwester hat herausgefunden, wer sie war und was aus ihr geworden ist.«
»Dann erzählen Sie, Steerpike, aber beeilen Sie sich, dieses Haus macht mich nervös.«
Das Rumpeln und Röhren, das bis vor Kurzem konstant geblieben war und an die Vibrationen einer geräuscharm schleudernden Waschmaschine erinnerte, hatte sich abrupt verstärkt, als habe jemand einen Stufenregler betätigt.
»Chris ist in Hollywood als Kind deutsch-tschechischer Einwanderer geboren. Sie war neunzehn, als sie sich bei MGM vorstellte und hoffte, einen Schauspielvertrag zu bekommen. Den Casting-Chefs ist gleich aufgefallen, dass sie in Größe, Haltung und Statur der Garbo sehr ähnelte. Die Garbo war damals die erfolgreichste Filmschauspielerin, sie konnte Forderungen stellen wie keine andere. Sie bestimmte, wie viele Stunden sie am Set verbrachte, und da das nicht viele waren, griff man immer häufiger auf Doubles zurück. Sie sprangen ein, wenn es um Einstellungen ging, in denen der Star von hinten gefilmt wurde oder nur Einsätze liefern musste. Außerdem war die Garbo der Ansicht, dass ihre Zeit nicht mit Tätigkeiten wie dem Einleuchten verschwendet werden sollte. Überlegen Sie, wie viel Aufmerksamkeit dem Licht- und Schattenspiel im Stummfilm und im frühen Tonfilmgeschenkt wurde. Die Bilder waren vollständig durchkomponiert. Wenn die Garbo keine Lust hatte, so lange zu posieren, bis der Regisseur mit der
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