Ashby House
Beleuchtung einverstanden war, behalf man sich mit Doubles. Sie zu finden war nicht einfach, und wenn man endlich jemand Passenden gefunden hatte, dann ließ man ihn nicht los. Chris hatte keine Chance auf eine eigene Karriere, solange Greta Garbo Filme drehte.«
»Wie lang hat sie für die Garbo gearbeitet?«
»Chris begann ihre Arbeit für MGM im Jahr 1932. Als Double für ›Königin Christine‹. Daher auch der Name ›Chris‹. Lucille hat versucht, Unterlagen und Verträge von MGM zu bekommen, aber aus dieser Zeit ist nichts mehr erhalten. Die Garbo nannte sie ›Chris‹, und der Name blieb haften.«
»Hat sie nicht versucht, auch andere Filmarbeit zu bekommen?«
»Doch, das hat sie. Bevor sie Double wurde, war sie in der allerersten amerikanischen ›Dracula‹-Verfilmung zu sehen als eine der drei Vampirbräute. Allerdings wurde ihr Name nicht im Abspann aufgeführt. Aber sie hat auch während ihrer Arbeit für die Garbo andere Aufträge angenommen, und das sollte ihr zum Verhängnis werden. Als die Garbo erfuhr, dass Chris ohne ihre Kenntnis als Double für die verstorbene Jean Harlow in ›Saratoga‹ eingesprungen war, wurde Chris gefeuert. Die Garbo hatte auf Exklusivität bestanden und war abergläubisch. Außerdem war sie nicht gerade für ihren Humor bekannt und war sehr wütend, als sie einen Kurzfilm zu Gesicht bekam, in dem Chris sie parodierte. Als sollte sie mit ihrem Aberglauben recht behalten, wurde ›Die Frau mit den zwei Gesichtern‹ Garbos letzter Film.«
»Was ist dann aus Chris geworden?«
»Genau da setzt die Recherche Ihrer Schwester an. Lucillehat Detektive in New York und Los Angeles mit dem Fall beauftragt. Chris ist von Hollywood an den Broadway gegangen, wo sie unter ihrem richtigen Namen ein paar kleinere Engagements bekam. Doch schon nach ein paar Monaten an der Ostküste war abzusehen, dass sie nicht von dem leben konnte, was der Broadway ihr bot. In den zwei Revuen, in denen sie auftrat, spielte sie – Sie erraten es …«
»… die Garbo.«
»Richtig. Und als weitere Angebote ausblieben, nahm sie ein Angebot aus Europa an.«
»Sie drehte in England.«
»Dazu sollte es nicht mehr kommen. Offiziell zählt sie zu den ersten Opfern des Blitzkrieges im September 1940. Angeblich hielt sie sich im Astor-Hotel auf, als der Bombenhagel niederging. So die Auskunft der Filmgesellschaft.«
»Und in Wirklichkeit?«
»In Wirklichkeit war sie zu diesem Zeitpunkt bei einem Außendreh in Cornwall. Die Ealing-Studios produzierten einen der wenigen Geisterfilme dieser Zeit. Er wurde jedoch nie fertig gestellt. Der Regisseur erlitt einen Schlaganfall, und der Kameramann verschwand – fand sich aber wenige Tage später wieder in London ein. Er schwor, keinen Fuß mehr über die Schwelle von Ashby House zu setzen, und wenn es ihn seine Karriere kostete. Der Angriff der Deutschen auf London kam der Filmgesellschaft sehr gelegen. Wie sonst hätte man erklären sollen, dass eine junge Schauspielerin ein Haus betrat und es nie wieder verließ?«
Vor ihrem inneren Auge sah Laura Stephen Steed durch die Luft fliegen. »Man muss es sehen, um es zu glauben.«
»Und selbst dann fällt es einem schwer.«
»Steerpike, wie war der wahre Name der Schauspielerin?«
»Chris hieß in Wirklichkeit Jeraldine Dvorak.«
Als völlig unerwartet ein lautes Bellen zu hören war, blieb Laura für eine lange Sekunde fast das Herz stehen. Mowgli war von seinem räuberischen Ausflug zurückgekehrt. Im selben Moment spürte sie an ihrer rechten Lende ein hektisches Vibrieren: den Alarm ihres Mobiltelefons. Sie nahm es aus der Tasche ihrer Kostümjacke und sah auf dem Display eine Zahlenkombination, die sie nicht erkannte: 386 725. Die Zahlen leuchteten pulsierend, verschwanden, und eine neue Zahlenfolge erschien: 56 668.
»Was ist das?«
»Zeigen Sie her!«
Steerpike griff nach dem Handy, und seine Augen begannen zu glänzen. »Es ist so weit.«
Im selben Moment, in dem ein Röhren durch die alten Wasserleitungen von Ashby House ging, das Wasser freudig erregt aufbrauste, in der Küche und in zwei Bädern die Armaturen aus den Kacheln reißend, und sich fontänenartig auf den Boden ergoss, brach in der Auffahrt von Ashby House ein Tumult aus, wie selbst dieses abgebrühte Haus ihn noch nicht erlebt hatte. Unter den Augen der versammelten Presse raste ein Mercedes gegen die schweren Eisentore, die zunächst wacker standhielten, jedoch beim dritten Anlauf des nun schon
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