Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
ich nur zwei Sekunden darüber nachgedacht, hätte ich es kapiert. Verdammt.« Er lachte bitter. »Peter hat mich ja beinahe schon mit der Nase darauf gestoßen. Er hat dafür gesorgt, dass wir uns von dort fernhielten. Wenn Rule im Zentrum eines Ziffernblatts liegt, dann wimmelt die ganze Region von sieben bis elf Uhr von Veränderten – und Peter hat darauf geachtet, dass wir da nur zu bestimmten Zeiten durch sind. Offensichtlicher geht es kaum, Lena.«
»Weißt du, im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber, Chris, die Welt ist krepiert. Leute sind einfach tot umgefallen. Mein Gott, Peter hat getan, was er konnte. Er hat versucht, uns zu beschützen.«
»Das hätte man auch anders anpacken können. Er hätte nicht mitspielen müssen. Wenn ich nur wüsste, warum! Ich kapier’s einfach nicht. Warum hat er sich überhaupt auf so etwas eingelassen?«
»Es war vielleicht nicht unbedingt seine Idee.« Das klang sogar in ihren Ohren schwach, und sie fügte hinzu: »Vielleicht hat er nur Befehle ausgeführt.«
»Na, dann waren das grauenhafte Befehle, und er hätte sie nicht befolgen dürfen.«
»Dass ausgerechnet du das sagst, ich fasse es nicht!«, fauchte sie. »Du hast doch selber Befehle befolgt. Du hast immer gemacht, was Peter gesagt hat. Du hast zugelassen, dass dein Großvater den Bann verhängt. Und als Peter und der Rat entschieden haben, wer bleiben darf und wer gehen muss, hast du dich auch nicht beschwert.«
Chris bekam hektische rote Flecken im Gesicht. »Das … das war was anderes.«
»Wieso? Weil diese Befehle nicht grauenhaft waren, sondern nur schlecht?«
»Herrgott, glaubst du wirklich, ich hätte darüber nicht nachgedacht? Mein Gott.« Er zog seinen Arm unter ihrer Hand weg und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Wie konnte ich bloß so dumm sein? Die ganzen Zeichen, die ich bewusst ignoriert habe. Zum Beispiel, als dieser Harlan, der Kerl mit Alex’ Sachen, der ihren Freund Tom auf dem Gewissen hatte und so weiter … Als mein Großvater Harlan rauswarf, wusste ich, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit da draußen sterben würde. Das war mir nur recht . Er hatte Alex wehgetan. Ich dachte, okay, Alter, Pech gehabt.«
»Das heißt nur, dass du etwas für Alex übrighattest. Jemand hat ihr wehgetan, du warst sauer.«
»Lena, es geht nicht darum, dass jemand sie in der Cafeteria blöd angemacht hat. Ich fand es in Ordnung, dass Harlan stirbt. Und ich konnte mir auch einigermaßen vorstellen, wie er sterben würde. Wir wissen alle, dass da draußen Veränderte sind. Mir war nur nicht klar, dass sie gerade da sind. Dass Peter dieses System am Laufen hielt. Und dass es die ganze Zeit direkt vor meiner Nase passiert ist. Zum Beispiel hat sich Peter ein paarmal von den anderen abgesetzt. Du weißt schon, so wie ich manchmal nach Oren gezogen bin. Er hatte eine Wagenladung Vorräte dabei und verschwand einfach – und immer ungefähr in denselben Gegenden. Wenn er dann zurückkam, war der Wagen leer. Als ich ihn fragte, wo er die ganzen Vorräte hingebracht hatte, rückte er nicht mit der Sprache raus. Ich meine, es lag auf der Hand, dass er die Lebensmittel weggegeben hat, und ich habe das einfach so akzeptiert.«
»Chris«, sagte Lena. »Du konntest das doch nicht wissen.«
»Nur weil ich es nicht wissen wollte.« Chris verzog angeekelt den Mund. »Dadurch habe ich mich genauso schuldig gemacht. Aber Peter ist jetzt weg, und ich weiß Bescheid. Jemand muss die Verantwortung tragen, Lena. Jemand muss versuchen, das in Ordnung zu bringen. Die einzige Möglichkeit ist, alles zu beseitigen. Das ganze System zerstören, nach dem Rule funktioniert. Und ich bin der Einzige, der noch übrig ist und das kann.«
Er presste die Kiefer aufeinander, und um seinen Mund entstand eine harte Linie, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. Und die sie sich nie hätte vorstellen können. Eine so eiserne Entschlossenheit hätte zu Peter gepasst, für den die Welt schwarz-weiß war. Aber Chris war anders. Er war jemand, dachte sie, den sie noch am ehesten als Freund bezeichnen würde. Aber diesen Fremden, der da vor ihren Augen Gestalt annahm, erkannte sie nicht wieder – seine straff gespannte Haut, unter der sich der Schädel abzeichnete, seine Wut, die ihr wie Pfeffer in die Nase stieg. Das war nicht mehr der gutherzige Junge, der so viel riskiert hatte, um ihren kleinen Bruder zu finden.
»Chris.« Ihre Zunge war so trocken, als hätte sie Staub im Mund. »Chris, du redest von Krieg ?«
»Ja«,
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