Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
…«
»Was? Es erklären?« Sie warf einen kurzen Blick auf sein Gesicht. Es wirkte angespannt, und bis auf die zwei roten Hektikflecken auf den hohen Wangenknochen war es schneeweiß. Nun verstärkte sich auch wieder der Geruch seiner Schatten, als ziehe er sich in sie zurück, um sich zu schützen. »Was gibt’s da zu erklären, Chris? Wir hatten in der sechsten Klasse Sexualkunde, wenn du also irgendwelche Tipps brauchst …« Sie hörte die Grausamkeit in ihrer Stimme und verkniff sich den Rest. Was zum Teufel tat sie da? Schließlich war es ihr doch egal.
»Du verstehst nicht«, sagte er.
»Du musst mir nichts erklären.«
»Aber ich wünschte, ich könnte es.« Alex hörte, wie elend er klang, und da war noch etwas: Ekel. »Himmel, was für ein Schlamassel.«
»Findest du, ja?« Wut und Enttäuschung brachten sie innerlich zum Kochen. Jeden Augenblick würde sie explodieren. »Das merkst du erst jetzt?«
»Bitte, ich möchte nicht mit dir streiten.«
»Hör mal, Chris, es ist schon in Ordnung, wirklich. Das hier ist dein Zuhause. Wenn du mit Lena bumsen willst, spiel Vater-Mutter-Kind mit ihr. Nur zu.«
»Hör auf.« Er schloss die Augen, man sah seine Kinnmuskeln arbeiten. »Bitte, Alex. Ich will nichts von Lena. Habe nie was von ihr gewollt.«
»Ach ja? Dann solltest du ihr das vielleicht mal klarmachen.«
»Bist du jetzt bitte mal ruhig?« Er machte eine abrupte Handbewegung und zügelte damit unwillkürlich das Pferd. Der Schlitten machte einen Schlenker, und Alex musste sich an der Seite festhalten, um nicht herauszufallen. Da packte er sie schon an den Armen und schüttelte sie. »Glaubst du denn, ich will das? Glaubst du, ich will sie?«
»Etwa nicht? Nein, das brauchst du nicht zu beantworten. Mir ist egal, was du willst!«, zischte sie und schlug ihm dann hart und schnell ins Gesicht, es klang wie das Knacken eines dürren Knochens. Bei dem Geräusch brach auch in ihr etwas entzwei, und plötzlich stieg heiße Scham in ihr auf. Chris schnappte nach Luft, dann ließ er die Arme sinken. Ihre Handfläche brannte wie Säure. »Chris«, sagte sie, »Chris, es tut mir leid …«
»Warum kannst du mich nicht ausstehen?«, fragte er mit vor Kummer brüchiger Stimme. Dann wurde sein Geruch heiß und rauschartig, ein Wirrwarr aus Widersprüchen: Äpfel und Feuer und kalte schwarze Schatten in Aufruhr. »Warum magst du mich denn nicht wenigstens ein bisschen?«
Alex würde nie wissen, was sie ihm vielleicht geantwortet hätte, denn er gab ihr keine Gelegenheit dazu.
Stattdessen küsste er sie.
60
E s war ganz anders als bei Tom.
Eher wie ein Bombeneinschlag.
Sie spürte, wie ihr Körper vor Überraschung erstarrte und dann ihr Herz einen Satz machte und es ihr den Atem verschlug. Einen Augenblick, einen winzigen Augenblick lang hätte sie ihn wegstoßen können. Aber sie tat es nicht. Eine überwältigende weiße Hitze sengte ihr diesen Gedanken sofort aus dem Gehirn, und dann presste er sich an sie, und ihre Haut prickelte, und sie fühlte seinen Hunger, seine Qual und packte ihn am Revers seines Mantels, weil sie vor Sehnsucht nach seiner Berührung fast verging. Sie konnte ihm nicht nah genug sein, fiebrig und benommen sog sie den Duft der würzigen Äpfel ein.
Der Kuss war endlos. Er dauerte eine Sekunde. Alex hätte nicht sagen können, wessen Lippen sich zuerst lösten. Vielleicht geschah es auch gleichzeitig oder war nie geschehen.
Chris ließ sie los. »Entschuldigung. Oh Gott, Entschuldigung«, sagte er mit heiserer Stimme. »Bitte hass mich jetzt nicht. Ich …«
»Es ist okay«, sagte sie. Der Abdruck ihrer Hand leuchtete auf seiner Wange wie ein Brandzeichen. Ihre Lippen waren wund und geschwollen. »Ich hätte dich nicht provozieren sollen. Aber ich war einfach sauer.«
»Ich glaube …«, Chris lehnte sich zurück, sein Brustkorb hob und senkte sich noch immer schwer, »… ich glaube, wenn wir zurück sind, sollte ich mich nicht mehr in deiner Nähe aufhalten. Ich kann dann nicht denken. Und draußen denke ich auch immer nur an dich … daran, mit dir zusammen zu sein. Ich will ja … oh Gott, Alex, ich versuche doch nur, dich zu beschützen.«
Sie verbiss sich ihre automatische Antwort – ich brauche deinen Schutz nicht –, denn sie konnte riechen, dass er die Wahrheit sagte. Es war wie damals, als er ihr die Sonnenbrille geschenkt hatte, nur dass er diesmal seine Gefühle offen vor ihr ausbreitete.
»Weißt du, wovor ich Angst habe? Dass du ein Schlupfloch findest,
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