Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
irgendwas, was wir übersehen haben, und nicht mehr da bist, wenn ich wiederkomme. Dass du fort bist und ich …« Chris schloss die Augen. »Bitte sag doch was.«
»Es tut mir so leid.« Sie berührte sein Gesicht und fuhr ihm über die gerötete Stelle, die ihre Hand hinterlassen hatte. »Ich hasse dich nicht, Chris.«
Ein kurzes, freudloses Lachen. »Aber du magst mich auch nicht besonders.«
»Ich habe deinen Kuss erwidert.«
»Weil ich dich überrumpelt habe, dich dazu gezwungen habe …«
»Nein, du hast mich zu nichts gezwungen. Ich glaube nur …«, sie holte tief Luft, »ich glaube, dass ich Angst davor habe, dich zu mögen.«
Seine Überraschung und die Hoffnung, die sich auf seinem Gesicht zeigten, schmerzten sie. Alex musste sich auf die Lippen beißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Noch immer lag ihre Hand auf seiner Wange, nun legte er seine darauf. »Warum?«, fragte er.
Ein Schluchzer stieg in ihr auf. »Weil es bedeutet aufzugeben. Weil du dann alle Schlupflöcher gestopft hast und ich nirgendwo anders mehr hinkann.«
»Aber Alex, diese Regeln haben einen Grund. Sie sind für deine Sicherheit gedacht.«
»Warum glaubt Jess dann, dass man sie ändern sollte?«
»Alex.« Er rückte näher und nahm sie in den Arm. Sie wehrte sich nicht. »Ich will dich beschützen. Ich will für dich sorgen. Wäre es denn so schlimm zu bleiben?«
Ihre Hände krallten sich in seine Jacke.
»Nein«, erwiderte sie.
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Alex saß dicht neben Chris, ihre Schenkel berührten sich, und sie hatte die Hand unter seinem Ellbogen durchgeschoben. Als sie zum Hospiz kamen, wirbelte der Schnee in noch dichteren Flocken, doch Alex machte keine Anstalten, vom Schlitten zu springen, als er hielt. Hinter den Glastüren stand die Hospizwache auf Posten, er hatte die Hand schon auf dem Riegel, um sie hereinzulassen.
Sie wandte sich Chris zu. »Wie lange wirst du fort sein, was glaubst du?«
»Eine ganze Weile wahrscheinlich. Mehrere Wochen.« Sein Mund verzog sich zu einem unsicheren, schiefen Lächeln. Schnee klebte in seinem dunklen Haar. »Mach dir keine Sorgen. Ich lass dir jemanden hier.«
»Um mich mache ich mir keine Sorgen.« Sie nahm seine Hand, und ihre Finger verschränkten sich. »Wenn du zurückkommst …«
»Ja«, sagte er.
Als sie sich diesmal küssten, roch es nur nach Äpfeln: süß und knackig und genau richtig.
An diesem Nachmittag eilte einer der Pfleger aus dem Behandlungszimmer, um rasch etwas zu holen, und ließ einen ganzen Satz sauberer Instrumente auf dem Tablett liegen. Darunter war eine Giglisäge: flexibler Draht, mit dem man Knochen durchtrennen konnte – oder einen Baumstamm oder die Kehle eines Mannes. Die Säge war vierzig Zentimeter lang und hatte zwei Griffe. Zusammengerollt passte sie leicht in Alex’ Jeans. Eine solche Säge konnte für ein Mädchen auf der Flucht ausgesprochen nützlich sein.
Alex ließ die Säge liegen.
61
Z wei Wochen nach Neujahr steckte ein Krankenpfleger den Kopf ins Behandlungszimmer, wo Alex gerade eine Schnittwunde vernähte. »Boss, soeben ist Nachricht von einem Späher gekommen. Hank und seine Leute sind gleich da. Haben oben bei Oren jemanden in einem alten Schuppen aufgegabelt.«
»Wissen wir, wie schlimm?«, frage Kincaid.
»Klingt nach Blutvergiftung. Infizierte Wunde, wahrscheinlich ein Biss.« Er hielt inne. »Sie sagen, es ist ein Verschonter, Boss.«
Alex stockte der Atem. Ihr erster Gedanke war: Tom wurde gebissen! Aber war das möglich? Nein, es konnte nicht Tom sein, das war zu lange her. Inzwischen waren fast zwei Monate vergangen.
»Ich brauche sofort eine Trage vor der Tür und hier drin einen Helfer. Bin gleich so weit«, sagte Kincaid. Und zu Alex: »Beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Entschuldigung.« Sie konzentrierte sich auf den letzten Stich, verknotete den Faden und schnitt ihn ab. Das alles tat sie mit ruhiger Hand, doch ihr Herz klopfte, als wollte es zerspringen. Dann griff sie nach einer Packung Mullbinden, aber Kincaid zog bereits die Handschuhe aus. »Lass sein und komm mit«, sagte er, »ich brauche dich.« Er kommandierte mit einem Fingerschnippen einen Helfer herbei, zeigte auf den Patienten und schon war er mit Alex draußen.
Sie rannten zur Eingangshalle. Gerade als sie die Doppeltüren aufstießen, galoppierte zuerst ein einzelner Reiter die Zufahrt herauf, und einen Augenblick später folgte ein pferdegezogener Pritschenschlitten. Ein Mann, den
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