Ashes - Pechschwarzer Mond (German Edition)
sich die Frage: wie? Wie stellt man einen wilden, tobenden, schäumenden Veränderten ruhig? Wie kriegt man so etwas in den Griff?
Doch wenn man im Hauptfach Mammalogie studiert und Wildtiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet hatte oder auch nur als Hilfssheriff unterwegs gewesen war, hatte man Erfahrung in solchen Dingen: Da gab es verängstigte Hunde; Wölfe, die umgesiedelt werden mussten; Kojoten, die man nicht töten wollte. Vielleicht sogar ein, zwei Bären. Oder man hatte zumindest gesehen, wie andere es machten. Egal. Theoretisch wusste man jedenfalls Bescheid: Setz sie außer Gefecht. Betäube sie – mit einer Narkoseinjektion.
Ein schneller Satz nach vorn, und sie stach mit der Nadel zu.
Gezielt hatte sie auf seine Kehle.
Doch sie traf das Auge.
19
K aum schlug Ellie das kalte Wasser ins Gesicht, sprudelte ihr die Luft in einer schimmernden, blubbernden Kaskade aus dem Mund. Ihr Herz wummerte gegen ihre Rippen wie die Stahlkappe eines Stiefels. Einen erschreckenden, endlosen Moment lang war ihr Gehirn wie leer gefegt.
Dann landete jemand – Eli oder ein Hund oder der Menschenfresser mit der Machete – auf ihr und drückte sie tiefer. Eisiges Wasser schoss ihre Nase hoch, der Schmerz fuhr ihr wie ein rot glühender Schürhaken ins Hirn, die Kälte stach ihr in die Augen. Sie trug noch immer die Kettenhalterung um die Taille und hatte kurzzeitig das eigenartige Gefühl, als würde der See die Kette packen und sie daran in die Tiefe ziehen. Mit ihrer wenigen kostbaren Atemluft strampelte sie sich aus einem Gewirr von Armen und Beinen frei und sah gerade noch rechtzeitig etwas wie einen Lenkflugkörper herunterschießen. Mit einem kleinen blubberndem Aufschrei – der sie das letzte Restchen Atemluft kostete – zuckte sie beiseite, und die Machete sauste an ihr vorbei.
Das aufgewühlte Wasser über ihr war trübe von dem Blut, das Beine und Pfoten auf- und durcheinanderwirbelten. Es war, als stecke man in einer riesigen Waschtrommel fest. Ellies Lungen brannten, ihre Hände krallten sich ins Wasser, mit energischen Zügen schob sie sich nach oben.
Als sie die Wasseroberfläche durchbrach, schluckte sie so kalte Luft, dass es ihr schier die Kehle verbrannte. Eli war nirgends zu sehen. Die Hunde waren auch weg. Nein. Eben waren sie doch noch da. » M-M ina?«, hustete sie. »Eli?«
Rechts tauchte plötzlich Minas Kopf auf wie der Schwimmer einer Angelschnur, von der sich ein Riesenfisch, den Haken noch im Maul, losgerissen hatte. Schnaufend schwamm Mina im Kreis und suchte hektisch nach Halt.
Die Scholle. Ellie trat wie wild Wasser und drehte sich dabei, um zu sehen, wo genau sie sich befand. Ich muss die Scholle finden, versuchen mich dranzuhängen, und Eli, wo ist …
Zu ihrer Linken fuhr etwas mit Getöse aus dem Wasser, und dann hörte sie, wie jemand prustend auf die Wasseroberfläche einschlug. Eine Woge der Erleichterung durchflutete sie: Eli. Er würde wissen, was zu tun war. Er war stärker als sie . Aber er ist verletzt, er ist verletzt, er blutet … Nein, Eli ging es gut, er durfte nicht sterben, sie würden heil hier herauskommen, und dann würde sie sich niemals, niemals wieder über ihn lustig machen! »Eli!« Sie schnappte nach Luft und krächzte noch einmal: »Eli! Bist du … ?«
Vor Panik verschlug es ihr den Atem. Denn statt Eli war da der Menschenfresser, mit triefendem Haar, das Gesicht weiß vor Kälte, nur wenige Meter von ihr entfernt. Nein! Sie unterdrückte einen Schrei und strampelte unbeholfen davon, versuchte Abstand zu gewinnen und hoffte, dass nicht einmal ein hungriger Menschenfresser verrückt genug war, ihr jetzt noch zu folgen. Einen Augenblick wirkte er genauso ratlos und erschrocken wie sie, was ihr ein bisschen Zeit verschaffte. Direkt vor sich erspähte sie das auf und ab schaukelnde Eisfloß. Aber es wurde von der Strömung und den aufgewühlten Wellen fortgetrieben.
Vielleicht das feste Eis? Nein, keine gute Idee. Dort waren die Menschenfresser.
Was dann? Wasser treten und hoffen, dass Hilfe kam? Wie lange würde es dauern, bis sie erfroren oder ertrunken war? Ich bin klein und wiege nicht viel. Also wohl nicht sehr lange. Ellie schwamm im Halbkreis, auf der Suche nach etwas, woran sie sich festhalten konnte, was sie über Wasser hielt. Und wo ist Roc, wo ist Eli? Sie mussten unters Eis geraten sein, womöglich war Eli gerade am Ertrinken! Nein, nein! Sie kniff fest die Augen zusammen, um das Bild wieder loszuwerden, wie der arme Eli mit
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