Ashes - Pechschwarzer Mond (German Edition)
Praktikum der Berufsberatung. In wenigen Wochen war Frühling. Sollten sie da immer noch in Zelten hausen? In baufälligen Ställen? Oder nicht lieber mal nach vorne schauen?
»Wir müssen uns ein Zuhause schaffen«, sagte er.
»Was?« Jasper blickte von dem schlanken roten Feuerlöscher auf, mit dem er sich gerade beschäftigte. »Was hast du gesagt?«
»Nichts.« Das Wort Zuhause auszusprechen, tat weh. Ihm wurde schummrig, abrupt stand er auf und stieß sich das Knie an einem Sägebock.
»Alles okay?«, fragte Jasper.
»Ja.« Mit pochendem Knie hinkte er zur Tür. »Brich bloß keinen Feuerlöscher auf, bevor ich wieder da bin.«
»Würde ich nie machen«, erwiderte Jasper mit dem verletzten Stolz eines Kindes, das die Keksdose beäugt. »Was ist mit Kaliumchlorid? Du weißt schon, Super- K-L öschpulver.«
»Wird aus dem Chlorid nicht Chlorgas? Das bringt einen doch ziemlich schnell um.«
Jasper dachte darüber nach. »Hm. Kann sein.« Er zog eine Schnute. »Mist.«
»Ja.« Luke wandte sich zum Gehen. »Wieder ein Traum geplatzt.«
Auf dem Weg zum Farmhaus ließ er sich Zeit, er legte sich zurecht, was er sagen wollte. Den Eltern Kummer zu bereiten, war die Spezialität seiner älteren Schwester gewesen. Als er dann an der Reihe war, hatte sie die Eltern entweder schon mürbe gemacht oder es war ihnen nicht mehr wichtig. Seine Mom hatte mal gesagt, die Aufregung wegen der Kinder sei wie die Sorge bei einem Schnuller, der auf den Boden gefallen ist: Beim ersten Kind kocht man das Ding noch aus, beim zweiten wischt man es an der Jeans ab. Und beim dritten lässt du es vom Hund ablecken.
Er musste grinsen. Seine Mutter hatte ihn immer zum Lachen gebracht. Das sollte er Cindi erzählen. Es würde ihr gefallen. Wenn Cindi etwas konnte, dann Geschichten erzählen, meistens über ihre Mom. Und er hörte ihr gern zu, weil es bei ihr immer wie ein Märchen klang.
Das sollten wir machen. Uns gegenseitig Geschichten erzählen und Marshmallows rösten. Wie früher daheim. Er hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Auf den Stufen zum Farmhaus warf er einen Blick zurück. Drei der Hunde spielten immer noch, ein vierter aber hatte sich nach Osten gewandt, schnupperte auf der Anhöhe herum und schlug an. Jetzt, wo er höher stand, überblickte Luke die Wiesen hinter dem Pferdestall und die Aussichtsposten, schwarze Flecken auf einem fernen Hügel.
Wir brauchen ein Zuhause. Er betrachtete die kleine Zeltstadt und die Kinder bei ihrer Arbeit, das orangegelbe Leuchten des Lagerfeuers. Ein eigenes Dach über dem Kopf.
Im Farmhaus herrschte Stille. Die Küche im Erdgeschoss war leer, als er eintrat, obwohl auf dem Tisch ein Becher stand, über dessen Rand ein Faden mit dem schwarz-roten Etikett eines Teebeutels hing. Der Stuhl war zurückgeschoben und es roch nach warmen Orangen. Vielleicht schlief Mellie ja? Unsicher blieb er stehen und schaute zur Decke, horchte auf Schritte. Oben rührte sich nichts. Luke wusste, dass Wellers Zimmer im Erdgeschoss war, aber er hatte keine Ahnung, wo Mellie schlief.
Er öffnete den Mund, um zu rufen, dann zögerte er. Lauschte. Das Wuff-wuff-wuff drang gedämpft herein, allerdings meinte Luke, dass inzwischen zwei Hunde bellten. Unheimlich war es hier. Es kribbelte in seinem Nacken so wie an dem Tag, als er sich ins Schlafzimmer seiner Eltern geschlichen und Schubladen geöffnet hatte, um … na ja, Sachen zu entdecken. Zum Beispiel: Mein Dad liest so ein Zeug? So was machen die? Er rechnete damit, dass sein Vater jeden Moment aus dem Schrank sprang. Noch wochenlang danach war Luke, immer wenn sein Dad den Arm um seine Mom legte, der Schweiß ausgebrochen.
So ähnlich fühlte er sich jetzt. Er war an einem Ort, wo er nicht hingehörte, im Begriff, etwas zu sehen, was nicht für seine Augen bestimmt war, nicht wenn er wusste, was gut …
Aus dem Flur hörte er ein gedämpftes Klick. Dann klickte es erneut zweimal.
Luke erstarrte. Nach einer Weile wiederholten sich die Geräusche: Klick. Pause. Klick-klick-klick. Pause. Klick-klick-klick.
Luke erschrak. Auch wenn er die Bedeutung nicht verstand, wusste er doch, was das war.
Ein Code.
27
A ls Tom das Blut sah, gingen er und Weller abseits der Straße in Deckung und warteten. Das widersprach seinem spontanen Impuls, sofort nach Cindi und Chad zu sehen. Aber es war dasselbe wie in Jeds Schuppen, als die Kopfgeldjäger gekommen waren: Panik konnte alle das Leben kosten. Also arbeiteten sie sich jetzt langsam vor und nutzten jede
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