Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
werden … Sobald Wolf nicht in der Nähe war, schlug Darth gerne mal zu. Was sie ihm gar nicht verübeln konnte. Sie wurde auch unausstehlich, wenn sie tagelang nichts zu essen bekam. Aber Darth hatte die Mossberg …
»Ich brauch nur einen Moment, Darth«, sagte sie. »In Ordnung?«
Obwohl sie erst so kurz im Seehaus waren, lernte sie Darths Gerüche und Stimmungen rasch kennen. Sein ungeduldiges Zischen verriet ihr, dass es überhaupt nicht in Ordnung war, aber egal. Der Junge war ein Rohling und laut wie eine Lokomotive. Falls sie ohnmächtig wurde, würde sie ihm zutrauen, dass er sich einfach still und leise ins Haus verdrückte, bis sie erfror, oder ihr mit dem Stiefel die Kehle eintrat. Bis Wolf mit Ernie und Marley von seinem Jagdausflug zurückkam, wären von ihr nur noch Knochen übrig: Na so was, Boss, keine Ahnung, sie war eben noch da. Nach dem Vorfall in der Hütte hätte Wolf sie vermutlich nicht allein gelassen, wenn der Vorrat in dem bärensicheren Sack nicht gereicht hätte, um die Zeit bis zu seiner Rückkehr zu überbrücken. Trotzdem konnte sie sich nur schwer entspannen, wenn Darth »Rat mal, was es zum Abendessen gibt« spielte.
Gerade als ich dachte, dass sich das Blatt zu meinen Gunsten wendet. Die Drahtrolle, die sie vor vier Tagen mit anderen Campingutensilien in einem Pappkarton gefunden hatte, war der erste unverhoffte Glückstreffer. Mit Darth im Schlepptau war sie auf der Suche nach Wildspuren weit in den Wald hineingelaufen. Es gab eine Menge Spuren, hier trieben sich viele saftige kleine Kaninchen herum. Sie legte sechzehn Fallen aus und betete inständig.
Tja – wenn sie jetzt diesen Schlamassel im Schnee betrachtete, war klar, dass sie etwas gefangen hatte, aber das Kaninchen musste ihr von einem Tier weggeschnappt worden sein, das genauso hungrig war wie sie. Muss wohl dasselbe gewesen sein, das uns gefolgt ist. Wahrscheinlich ein Wolf. Die Spuren passten. Ebenso der Geruch, obwohl da etwas Merkwürdiges war, eine kleine Abweichung …
Ach, verdammt, ob Wolf oder nicht, ist doch egal. Sie wischte sich eine Zornesträne aus dem Augenwinkel. Heulen half auch nichts. Sie musste einfach die Falle an einer anderen Wildspur auslegen und noch mal von vorn anfangen.
Und sieh es doch mal positiv, Alex. Du hast dir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, was du als Fischköder benutzen könntest. Sie schob die halb gefrorenen Gedärme zu einem groben Schneeball zusammen und angelte mit dem Zeigefinger ein kleines dreieckiges Fleischstück heraus. Oooch, was haben wir denn da?
»Darth, willst du noch einen Trick sehen, den mir mein Dad beigebracht hat?« Sie steckte sich das Kaninchenherz in den Mund, schluckte und leckte sich die Lippen. »Mmm«, sagte Alex. »Lecker.«
Ungefähr eine Stunde später schaute sie auf Ellies Uhr. (Reine Gewohnheit. Micky war immer noch tot. Aber wenn sie die Uhr trug, fühlte sie sich besser.) Wie spät es auch sein mochte, jetzt war jedenfalls kein schlechter Zeitpunkt, um das Bootshaus zu durchsuchen, ehe diese prächtigen Kaninchengedärme verdarben.
Es war ein strahlender Tag, der Schnee glitzerte so hell, dass er dunkelrote Phantombilder in die Netzhaut brannte. Die Sonne hing wie eine Goldmünze am Himmel und ließ Alex’ Schatten wie eine Pfütze zu ihren Füßen erscheinen. Geblendet schloss Alex die Augen und stellte sich vor, wie ihre Zellen Energie aus dem Sonnenlicht tankten. Sie musste etwas anderes zu essen finden außer Rinde und Zweigen und gelegentlichen Ameisen oder Kaninchenherzen. Das Bootshaus war der einzige Ort, wo sie vielleicht noch etwas Brauchbares auftreiben konnte. Beim Durchforsten des Haupthauses samt Keller und Garage hatte sie ein paar nette Dinge ergattert: den Fallendraht, einen Campingkocher, Propangaskartuschen, eine Campinglaterne und sogar ein anständiges Einmannzelt. Den Kocher empfand sie als reinen Hohn. Der Draht, den sie für die Fallen benutzte, war allerdings zu steif zum Angeln. Und wenn sie sich nicht die Haare ausreißen und eine Angelschnur daraus flechten wollte, blieb nur das Bootshaus. Denn in Seen gab es Fische, nicht wahr? Man musste nur irgendwo das Eis aufhacken und eine Schnur reinhängen. Mit einem Köder dran, sozusagen als Opfer für die Götter.
Einige Zeit davor, als Alex ihren ach so köstlichen Eintopf aus Kiefernrinde kochte, warf sie einen Blick auf Penny, die sich auf einer abgewetzten Ledercouch vor dem Panoramafenster ausgestreckt hatte. Ausgezeichnete Lichtverhältnisse
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