Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Totenhaus, und ich hatte zu viel Bammel, um mal nachzusehen?
Alex würde nicht kneifen. Ellie klammerte sich fester an ihre Savage. Tom würde hingehen.
»Okay, komm, Mina. Wir schaffen das.« Mit klopfendem Herzen bahnte sie sich vorsichtig den Weg, während ihr Hund dicht an ihrer Seite blieb. Vor ihr wallten und wogten die Vögel um das Gebäude wie die Wellen eines unruhigen schwarzen Meers. Am Rand, wo der Schnee aufhörte und die Krähen anfingen, hielt Ellie inne und schob dann langsam ihren Fuß ein paar Zentimeter vor. Die Krähen flatterten davon. Sie machte noch einen langsamen, schlurfenden Schritt und dann noch einen. Die Vögel machten erst Platz und schlossen hinter ihr und Mina wieder die Reihen. Es wirkte gespenstisch, als würde sie durch einen See aus schwarzem Quecksilber laufen.
An der Schiebetür hielt sie inne. Die Tür war nicht verschlossen. Isaac und Hannah meinten, die Hexenzeichen würden als Schutz genügen. Aber um hineinzukommen, brauchte Ellie beide Hände, und sie war nicht scharf darauf, ihr Gewehr loszulassen.
»Pass gut auf, dass nichts Schlimmes passiert, Mädel«, sagte sie zu Mina, hängte sich die Savage um die rechte Schulter, schloss die Hände um den Eisengriff und zog. Widerwillig kreischte die Schiebetür, ihre eisernen Räder knirschten auf Metall, und Ellie schlug eisige Luft und der Geruch von Jutesäcken und Kiefernharz entgegen. Mit gerümpfter Nase sah sie sich zu den Vögeln um. Die wiederum legten die Köpfe schief und hefteten ihre schwarzen Perlenaugen auf Ellie, wie um sie besser im Blick zu haben. Vielleicht war es nicht gut, die Krähen allzu lange anzustarren, also blickte Ellie schnell zu Boden und ging von der Rampe ins Haus, bevor ihr ein bisschen zu spät einfiel, dass die Vögel jetzt einfach hinter ihr hereinströmen könnten. Aber sie taten es nicht. Klackend und krächzend kamen die Vögel bis an die Schwelle. Aber kein einziger flatterte auf oder hüpfte nach drinnen. Dennoch schob sie die Tür hinter sich zu, nur um auf Nummer sicher zu gehen.
Sie wartete einen Moment, bis ihre Augen sich an die jähe Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Innenraum war riesig. Mit den hohen gemauerten Wänden und den frei liegenden Deckenbalken aus dem gleichen dunklen Holz wie die Tür hatte er die Dimensionen einer Höhle. Direkt vor ihr in der Mitte des Raums waren drei mal drei Stapel hölzerne Paletten zusammengeschoben, wie Bauern sie für ihr Heu benutzen.
Nur dass jetzt Leichen darauf lagen.
Ellie kannte den Ablauf. Nachdem der Tote gewaschen und mit würzig duftendem Öl eingerieben worden war, wickelte man ihn in ein sauberes, weißes Laken. Hannah legte ihm zusätzlich noch einen kleinen Zauberbeutel auf die Brust, bevor sie den Toten in den Jutesack einnähte, auf den sie einen roten fünfzackigen Stern malte. Der Tote wurde dann so aufgebahrt, dass er nach Osten blickte, was mit einem kleinen Kissen unter dem Kopf unterstützt wurde. Die Ausrichtung war wichtig – irgendein Bla-bla über Himmel und Auferstehung –, aber Ellie hatte die Ohren auf Durchzug gestellt. Ihr Vater war weit, weit im Osten gestorben und kam in einer Box zurück, die nicht größer als eine Schuhschachtel war. Sie konnte sich nun wirklich nicht vorstellen, dass er irgendwann quicklebendig wieder zur Tür hereinkommen würde. Okay, das war zynisch. Aber trotzdem.
Nach dem Krawall der Krähen draußen war es im Totenhaus so still, dass Ellie ihr eigenes Schlucken hörte. Soweit sie es beurteilen konnte, war alles in Ordnung. Nun ja, wenn man von den Leichen absah. Von den toten Kindern hier waren zwei von Menschenfressern zerfleischt worden. Dann gab es allerdings noch fünf, denen man Gift gegeben hatte, weil sie anfingen sich zu verändern. Die vorletzte Leiche war der alte Mann, der neben Chris gelegen hatte, dieser hölzerne Rammbock hatte ihm das Genick gebrochen.
»Also, was jetzt?«, flüsterte sie, weil es ihr nicht richtig erschien, lauter zu sprechen. Beim Klang ihrer Stimme verlagerte Mina vorsichtig ihr Gewicht und machte ein paar zögernde Schritte auf die Paletten zu. Ihre Krallen klackten auf dem Steinboden. Ellie überlegte, ob sie den Hund zurückrufen sollte, aber dann dachte sie: Abwarten. Mal sehen, was sie macht.
Sie rechnete damit, dass ihr Hund jeden Jutesack beschnüffeln würde. Aber das tat Mina nicht. Stattdessen ging sie ans Ende der letzten Palette – zu der Leiche, die dort ganz einsam lag –, bevor sie Ellie einen Blick zuwarf.
Und?, schienen
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