Ashford Park
Anna schlug ihre langen Fingernägel in Clemmies Arm. «Komm mit. Ich muss dir was zeigen. Dir auch, Marjorie.»
«Was denn?» Clemmie sah ihre Mutter an und verdrehte die Augen, als ihre Tante sie mit sich durch das Arbeitszimmer und den hinteren Flur zog.
«Ich dachte, sie hätte sie vernichtet», sagte Tante Anna. «Aber nein, sie sind alle noch da. Sie waren die ganze Zeit hier.»
Sie schob Clemmie in Granny Addies Zimmer, das schon leer und verlassen wirkte, und ging direkt zum Schrank. Es war, wie in so vielen Vorkriegswohnungen, ein nachträglich eingebauter Schrank mit ungewöhnlichem dreieckigem Grundriss, um eine Zimmerecke zu nutzen. Mit einem Album, das Clemmie noch nie gesehen hatte, kam sie zurück. Es war länger und dünner als die Alben, die Clemmie kannte, mit Klammern, die es auf einer Seite zusammenhielten, und einem brüchigen roten Ledereinband.
Tante Anna warf es auf die leere Kommode. «Ich habe es gestern entdeckt, ganz hinten im Schrank. Na los, schaut’s euch an.»
Fragend sah Clemmie ihre Mutter an, die mit zusammengekniffenen Lippen und stoischer Miene dastand.
Tante Anna zog die perfekt gepflegten Augenbrauen hoch. «Na, was meinst du, Madge? Glaubst du, Farve hat sie aufgehoben? Oder hat Addie hier gesessen und sich diebisch an ihnen erfreut?»
«Ich glaube», entgegnete Clemmies Mutter schroff, «dass du neue Tranquilizer brauchst.»
Clemmie schlug das Album auf und erwartete fast, dass ihr irgendetwas Erschreckendes entgegenspringen und nach ihr schnappen würde. «Das sind Bilder aus Kenia», sagte sie.
Sie hatte oft genug Granny Addies gerahmte Keniabilder gesehen, sepiabraune Fotografien von Männern in pilzförmigen Hüten und Reithosen und Frauen in lose fallenden Blousons und wadenlangen Röcken. Sie sahen alle irgendwie gleich aus, die Männer in ihren Hüten und Anzügen, die Frauen in ihren Kleidern, die heute so hausbacken wirkten, damals aber vermutlich der letzte Schrei waren.
Sie fragte sich, ob es mit ihren Collegefotos auch so sein würde, ob in den Augen der nächsten Generation die eine Frau mit langen Haaren und einer Jeansjacke aussehen würde wie die andere.
Sie drehte sich nach ihrer Mutter um. «Es sind nur ein paar alte Fotos.»
«Blättere weiter», sagte Tante Anna.
Clemmie legte das Album auf den Kommodenrand, damit sie alle mit hineinschauen konnten. Gruppenfotos, auf denen die Leute künstlich lächelnd herumstanden; gestellte Aufnahmen von Männern mit Gewehr neben ihren Jagdtrophäen; Momentaufnahmen von Fremden, die mit einem Koffergrammophon neben sich bei einem Picknick zusammensaßen und nicht auf den Fotografen achteten, bis auf eine Frau, die über die Schulter zurückblickte.
Clemmie erkannte sie. Sie hatte sie vor tausend Jahren auf dem Gemälde im Rivesdale House Hotel gesehen mit ihrem spitzen Kinn und dem herausfordernden Blick. Vielleicht lag es am brüchig gewordenen Papier, aber sie sah älter aus, müde. «Das ist Grannys Cousine, nicht?»
«Hm», machte Tante Anna.
Clemmies Mutter sagte nichts.
Sie war durchgebrannt, wie der Marquis es ausgedrückt hatte. Na ja, wenn man schon durchbrennen wollte, war es sicher nicht dumm gewesen, nach Afrika durchzubrennen, zumal wenn Granny Addie und Grandpa Frederick schon da waren.
Auch das nächste Foto zeigte Bea, zusammen mit drei Frauen, von denen eine ein Banjo im Arm hielt, eine in einem Korb kramte und die beiden anderen faul auf Picknickdecken lagen. Vorsichtig zog Clemmie es aus den Fotoecken heraus, die es hielten. Auf der Rückseite stand in einer Handschrift, die Clemmie nicht kannte:
Wanjohi, 1924
und darunter
Dina, Cockie, Alice und ich.
In dem Album waren auch Fotografien von Grandpa Frederick, anfangs mit einem ziemlich albernen Schnurrbart, später mit glattrasiertem Gesicht, und von einem kleinen Mädchen in Reithose, neben einem Tier, das vielleicht so groß war wie ein Hase und ein wenig aussah wie ein Reh, aber keins war.
«Mom, bist du das?»
Ihre Mutter nickte. «Das war mein Dikdik. Feather.» Ihre Stimme klang heiser und zittrig, als strengte sie sich an, nicht zu weinen.
Es folgten noch mehr Bilder von Clemmies Mutter: mit einem Pony, mit Grandpa Frederick, auf einer Terrasse mit einer Puppe im Arm, von einer weiß gekleideten Hausangestellten beaufsichtigt. Kein einziges Foto von Granny Addie. Clemmie blätterte schneller um. Bilder von Hausangestellten und Pferdeknechten, von Trägern mit Stangen, von denen tote Tiere herabhingen; Bilder von Gruppen
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