Ashford Park
obwohl Addie den Verdacht hatte, dass Anna, sein wildes Kind, in seinem Herzen einen besonderen Platz einnahm.
Anna war zur Beerdigung aus Hawaii zurückgekommen und hatte ihren neuesten Ehemann mitgebracht, irgendeinen Theaterschriftsteller mit einem buschigen rotblonden Schnauzer und einem senfgelben Samtblazer zur weit ausgestellten Tweedhose. Sein Gesicht war krebsrot von einem Sonnenbrand, den er sich bei ihrer barfüßigen Freilufttrauung am Strand geholt hatte.
Anna hingegen konnte die Sonne kaum etwas anhaben. Ihre Haut hatte einen exquisiten hellen Biskuitton, von dem sich ihr Haar strahlend blond abhob. Ihr Minikleid war zwar für eine Beerdigung nicht unbedingt das Richtige, aber wenigstens war es schwarz. Addie hatte sich schon gefragt, ob Anna in Schwarz kommen würde. Sie provozierte gern, manchmal nur um des Provozierens willen, doch diesmal hatte sie sich zurückgehalten.
Addie hatte das Gefühl, als würde ihr jeden Moment das Herz brechen und alles in ihm zwischen den Scherben herausquellen, bis nichts mehr übrig war als eine kleine Pfütze auf dem Boden, eine Pfütze und ein Häufchen schwarzer Kleider, in dem Beas Diamantbrosche funkelte.
Anna murmelte dem Theaterschriftsteller etwas ins Ohr. In ihren lächerlich hohen Schuhen war sie so groß, dass sie sich zu ihm hinunterbeugen musste. Sie war hoch gewachsen, wie Frederick – wie Frederick und wie Bea. Neben ihnen war Addie sich immer vorgekommen wie eine Putzfrau, die versehentlich in den Olymp geraten war. Selbst jetzt noch konnte ihre Stieftochter dieses Gefühl in ihr hervorrufen.
Sie hatten den Sohn des Schriftstellers mitgebracht, einen ernsten kleinen Neunjährigen mit Pilzkopf und Fliege. Addie musste an Teddy in diesem Alter denken: keineswegs still und ernst, sondern immer kontaktfreudig und selbstsicher. Aber Teddy hatte auch zwei Eltern gehabt, die ihm ihre Liebe zeigten, und zwei Schwestern, die ihn verwöhnten, ganz anders als dieser arme Junge, der ohne gefragt zu werden in eine wildfremde Familie hineingeschubst wurde, von einer Mutter übertrieben gehätschelt, die er gerade einen Monat kannte.
Anna streichelte zerstreut den Kopf des Jungen. Sie spielte Mutter und Kind wie ein kleines Mädchen, das die Puppe vergaß, sobald es ein interessanteres Spielzeug entdeckte. Addie hätte gedacht, dass gerade Anna es besser wüsste, sich erinnern würde, wie weh es getan hatte, verlassen zu werden.
Vielleicht wäre es anders geworden, wenn sie ein eigenes Kind gehabt hätte. Vielleicht wäre ihr Mutterinstinkt dann, nun ja, beständiger gewesen. Addie machte sich von Zeit zu Zeit Gedanken über diese Fragen.
Damals schien es so einfach.
Anna hatte sie ins Vertrauen gezogen. Der Vater sei verheiratet, sagte sie. Einer ihrer Professoren. Sie entschuldigte sich nicht und beschränkte sich auf die Tatsachen. Addie fühlte sich an Bea erinnert, die immer am dreistesten aufgetreten war, wenn sie wusste, dass sie eine Dummheit gemacht hatte. Anna wollte das Kind nicht haben und nahm an, dass Addie mit ihren Verbindungen zu Geburtskliniken ihr helfen würde, ohne Frederick einzuweihen.
Sie hatte alles arrangiert: den Flug in die Schweiz, den Termin in einer Klinik. Frederick hatte geglaubt, Anna sei mit Freunden im Skiurlaub. Es war Addie eine Qual gewesen, ihn zu belügen. Er war ihre andere Hälfte, ein Teil von ihr. Doch Anna hatte darauf bestanden: Ihr Vater dürfe nichts erfahren. Wenn Addie ihr das nicht verspreche, würde sie die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Also hatte Addie ihr das Versprechen gegeben, und sich gesagt, es sei das Beste so, es gebe Anna die Freiheit, die Bea damals nicht gehabt hatte. Außerdem würden sicher andere Kinder kommen, Kinder mit dem richtigen Mann.
Aber es kamen keine Kinder mehr. Anna warf das Studium an der Kunstakademie hin und ebenso das von Sotheby’s angebotene Ausbildungsprogramm zur Kuratorin. Sie wechselte von einer Tätigkeit zur anderen, versuchte sich einen Monat als Innenausstatterin und im nächsten als Modedesignerin. Hauptsächlich tat sie, was ihre Mutter getan hatte. Sie heiratete und heiratete und heiratete.
Addie war gespannt, wie lang diese neue Ehe halten würde. Bei den ersten vier hatte Anna kurzen Prozess gemacht. Bei der letzten, der vierten, hatte die Scheidung länger gedauert als die Ehe.
Ihr Blick fiel auf Marjorie, die mit ihrer Canapéplatte unter den Gästen umherging und dafür sorgte, dass die Gläser auf Untersetzer gestellt und gebrauchte
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