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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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blöder Moment. Sagen wir einfach, das Wiedersehen mit Caitlin hat für mich einiges geklärt.»
    «Hm.» Clemmie beschloss, es erst einmal dabei bewenden zu lassen. Jetzt war nicht die richtige Zeit. Sehr gegen den Willen des Sessels schlug sie die Beine übereinander und sagte betont sachlich: «Aber ich bin sowieso wegen etwas anderem hier. Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.»
    Papiere raschelten unter Jons Ellbogen. Deswegen also trugen die Herren Professoren so gern Jacken mit ledernen Ellbogenflicken. «Worum geht’s denn?»
    «Um Recherchearbeit.» Clemmie holte tief Atem. «Ich war letzte Woche bei Tante Anna. Sie ist überzeugt, dass ihre Mutter, also ihre leibliche Mutter, damals in Kenia nicht ums Leben gekommen ist.»
    «Ah», sagte Jon.
    «Ah?» Dieses ‹Ah› gefiel ihr nicht. «Weißt du davon?»
    «Ich kenne die Geschichte», antwortete Jon. «Der Tod, der kein Tod war, und so weiter.»
    «Du glaubst nicht daran?»
    «Ich habe nicht genug Informationen, um mir eine Meinung zu bilden.»
    Clemmie verdrehte die Augen. «Typisch. Sich nur ja nicht festlegen.» Beinahe trotzig sagte sie: «Ich kann nicht glauben, dass Grandpa Frederick sie getötet hat. Oder Granny Addie.»
    «Nein», sagte Jon, «ich auch nicht. Aber …», sie wusste sofort, dass ihr sein Einwand nicht gefallen würde, «… einen Unfall kann man nicht ausschließen. Sie waren auf einer Safari. Das war nicht ungefährlich. Bei diesen Ausflügen sind immer wieder Leute umgekommen, ohne dass ihre Leichen je gefunden wurden. Und das passiert auch heute noch.»
    «Und wenn es nicht so war?»
    «Auch dann wäre sie heute schon lange tot.» Jon nahm die Brille ab, um sich die Augen zu reiben. «Sie war älter als deine Großmutter, als Addie, meine ich. Was spielt es für eine Rolle, ob sie damals gestorben ist oder später?» In weicherem Ton fügte er hinzu: «Auf diese Weise kannst du keinen Ersatz für Addie finden.»
    «Ich versuche nicht, einen Ersatz zu finden.» Clemmie, die beinahe zornig aufgesprungen wäre, ließ sich wieder in den Sessel zurücksinken. «Ich möchte einfach wissen, was wirklich passiert ist.»
    «Ich will ja kein Spielverderber sein», sagte Jon, «aber das wirst du vielleicht nie erfahren. Weil es möglicherweise überhaupt keine Quellen gibt. Und wenn doch, sind sie wahrscheinlich vielfältig interpretierbar. Die Fakten könnten in mehrere Richtungen deuten, ohne letztlich zu einem schlüssigen Ergebnis zu führen. Das gehört zu den Kehrseiten unseres Berufs», fügte er hinzu. «Meistens gibt es keine Wahrheit, nur unterschiedliche Interpretationen. Die sogenannten Tatsachen sind ein Konstrukt, das wir der Öffentlichkeit präsentieren.»
    «Willkommen in meiner Welt», sagte Clemmie. «Was glaubst du, was ich jeden Tag mache? Ich bastle sogenannte Tatsachen zu Argumenten zusammen. Und jede dieser ‹Tatsachen› kann man so oder so drehen. Aber in diesem Fall gibt es eine einfache Antwort. Entweder sie ist gestorben oder sie ist es nicht. Wenn sie nicht gestorben ist, möchte ich wissen, was passiert ist.»
    Jon schaute sie aufmerksam an. «Warum?»
    Sie wusste, worauf er hinauswollte, aber er täuschte sich. Sie suchte nicht nach einem Ersatz für Granny Addie, jedenfalls nicht nur. Diese Frau, diese Fremde, war schließlich ein Teil von ihr. Sie wollte wissen, was ihr zugestoßen war. Sie wollte wissen, warum ihre Mutter nie über sie sprach. Sie wollte es nur wissen. Und wenn es so einfach war, wie es zu sein schien, wenn sie wirklich auf einer Safari von einem Löwen gefressen worden war, dann war es damit erledigt.
    In gewisser Weise wäre das die Antwort, mit der sie sich am leichtesten abfinden könnte. Es würde bedeuten, dass es kein Verbrechen und keinen Verrat gegeben hatte. Geblieben wäre lediglich der etwas pikante Umstand, dass eine Frau den frisch verwitweten Mann ihrer Cousine geheiratet hatte. War es das, was Clemmie sich wünschte? Es würde ihr ihre Granny Addie zurückgeben, nicht die blutsverwandte Großmutter, für die sie sie gehalten hatte, aber den Menschen, den sie gekannt hatte und der diese Frau für sie gewesen war. Nicht eine gewissenlose Person, die mit allen Mitteln eine bigamistische Ehe aufrechterhalten und die Mutter ihrer Stieftöchter mit Drohungen vertrieben hatte.
    Clemmie konnte es Jon nicht erklären, solange sie selbst es nicht recht verstand, deshalb sagte sie nur: «Warum versuchen Menschen ungelösten Geheimnissen auf den Grund zu gehen? Den meisten

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