Ashford Park
offen.
Addie musste an Hans Christian Andersens Schneekönigin denken, die die Welt in Winter erstarren ließ. Solange Tante Vera im Zimmer war, standen alle wie gefroren. Erst als sie gute Nacht sagte und hinausrauschte, brach das Eis, und die Bewohner des Zimmers konnten sich wieder bewegen und wieder reden.
Das Mädchen, das sich die Modeblätter angesehen hatte, stürzte sich sofort auf sie.
Wir haben Ewigkeiten auf dich gewartet. Seid ihr den ganzen Weg hier herunter mit dem Automobil gefahren? –
Jetzt geht’s ins Bett
. Nanny klatschte in die Hände. Sie nahm die Cousine bei den Schultern und drehte sie energisch zur Tür.
Und zwar husch, husch, Miss Bea. Also hinaus mit Ihnen, junge Dame.
Die Cousine – Bea? – schnitt Addie noch schnell über ihre Schulter hinweg ein komisches Gesicht, zuckte mit den Schultern und flitzte hinaus.
Die ältere Cousine, die im Sessel gelegen hatte, nickte Addie zu.
Bis morgen früh
, sagte sie und verschwand ebenfalls.
Nanny hob die Kleinste auf ihre Schulter, wo sie strampelnd protestierte.
Und Sie, Miss Adeline,
sagte Nanny,
schlafen hier.
Es klang irgendwie unheildrohend, so wie sie es sagte.
Sie führte sie den Gang hinunter, in dem Bea und die andere Cousine verschwunden waren. Es gab dort eine Menge Türen und eine sonderbare Halbtreppe, die an einem Absatz mit zwei Türen haltmachte, bevor sie in eine andere, längere Treppe mündete. Addie hatte nie so viele Türen gesehen. Ihr Haus in London war weit einfacher gebaut gewesen. Allein an diesem Gang gab es mehr Zimmer als in Addies Elternhaus zusammen. Und dabei war dies nur ein kleiner Winkel von Ashford. Sie war überwältigt.
Nanny sorgte dafür, dass Addie sich auch hinter den Ohren wusch und ihr Abendgebet sagte, und als Addie das alles mit einer Art grimmiger Entschlossenheit erledigt hatte, schloss Nanny die Tür, und sie war allein. Sie schob Fernies Buch unter ihr Kopfkissen und berührte es wie einen Talisman.
Zu Hause hätte Fernie ihr einen Gutenachtkuss gegeben. Zu Hause hätte Mutter durch den Türspalt geschaut, um zu sehen, ob sie schlief.
Da öffnete sich plötzlich die Tür, und eine schlanke Gestalt huschte ins Zimmer.
«Ist es wahr, dass du von Heiden aufgezogen worden bist?», fragte sie, als sie sich auf das Fußende von Addies Bett fallen ließ. «Es war wirklich unfair, dass du so spät gekommen bist. Da hatten wir gar keine Zeit mehr zum Reden. Ich bin schon halb tot vor Neugier.»
Sie wirkte gar nicht halb tot. Sie wirkte unheimlich lebendig und bildete einen großen dunklen Buckel am Ende von Addies Bett. Addie konnte sie nur als eine Kombination von Schatten erkennen, aber sie erkannte die Stimme: Es war die Cousine mit den Modeblättern, die Ewigkeiten auf sie gewartet hatte.
Addie richtete sich auf. «Du bist Bea, richtig?», fragte sie, unsicher, was die Etikette unter den gegebenen Umständen vorschrieb.
«Beatrice, genau genommen. Sie haben mich nach einer unglaublich langweiligen Tante genannt. Eine von Mutters Schwestern, du brauchst also keine Angst zu haben, deine Tante ist sie nicht. Als Taufgeschenk habe ich einen lächerlichen kleinen Löffel von ihr bekommen, nicht mal mit einem Apostel drauf. Ich finde das wirklich geizig, du nicht auch?»
Addie war so weit, dass sie allem zugestimmt hätte. «Doch, ja», sagte sie ausweichend.
«Wenn man schon nach langweiligen Tanten genannt wird, sollte man wenigstens schöne Geschenke von ihnen bekommen», erklärte Bea mit Entschiedenheit. «Dodo hat von ihrer Patentante eine Tiara bekommen. Nicht, dass sie viel damit anzufangen weiß.»
«Dodo?»
«Diana. Sie war vorhin auch da. Sie ist die Älteste von uns. Du meine Güte, sie haben dir aber auch gar nichts erklärt.»
Addie schüttelte den Kopf und spürte Tränen hinter ihren Augen brennen.
«Mach dir keine Sorgen», sagte Bea. «Ich kümmere mich schon um dich. Es ist eigentlich alles unheimlich langweilig und stumpfsinnig. Wir sind zwar zu viert, aber Edward ist die meiste Zeit im Internat, Dodo mag Pferde lieber als Menschen, und Poppy ist noch im Brabbelalter, mit der kann man also auch nicht reden. Wie alt bist du?»
«Fast sechs.» Addie hatte irgendwie das Gefühl, dass es sehr wichtig war, fast sechs zu sein und nicht fünf. Man wollte ja nicht nachgesagt bekommen, dass man noch im Brabbelalter sei. «Und du?»
«Ich war gerade sieben.» Bea musterte sie. «Ich muss sagen, wie eine Wilde siehst du nicht aus.» Es klang tief enttäuscht.
«Wie sehen
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