Ashford Park
sehr freundlich von Ihnen, mich nach Hause zu bringen. Ich hoffe, ich habe Sie nicht allzu sehr inkommodiert.»
Es war eine fürchterlich gestelzte kleine Rede.
Captain Desborough nahm ihre Hand nicht. Er stand nur da und schaute mit schmalen Lippen zu ihr hinunter. «Nein, es war nicht freundlich von mir», sagte er unumwunden. «Es war abscheulich von mir. Und absolut ungerechtfertigt.»
Addie zuckte verlegen mit den Schultern. «Sie waren nur ehrlich. Es ist ja wirklich ziemlich lächerlich, wenn man es so sieht. Stolz drauf zu sein, dass man den Tee kochen darf …»
«Vergessen Sie nicht den Spruch von den kleinen Dingen, die Gutes bewirken. Alle großen Dinge entspringen kleinen Anfängen – und Dichtung einer Kanne Tee.» Captain Desborough schob ihren Hut zurück, bis er ihr Gesicht sehen konnte. «Ich wollte Ihre mutigen Pläne nicht heruntermachen. Verzeihen Sie mir?»
Sie wagte kaum, sich zu rühren, aus Angst, sie könnte den Bann brechen. «Es gibt nichts zu verzeihen», sagte sie atemlos.
Seine Augen waren sehr grün in seinem blassen Gesicht, wie Jade, uralt und ernst. Er stand immer noch zu nahe, so nahe, dass ihr Rock seine Hose streifte, so nahe, dass Addie praktisch die Küchenmädchen hinter den Gitterzäunen tuscheln hören konnte.
«Ich fühle mich wirklich wie der schlimmste Schuft», sagte er. «Erlauben Sie mir, Wiedergutmachung zu leisten.»
«Das ist nicht nötig», erwiderte Addie, plötzlich wieder scheu. Ihr Rock schwang gegen das schmiedeeiserne Gitter, als sie zurücktrat. «Es gibt nichts wiedergutzumachen.»
Captain Desboroughs schmales Gesicht wurde von einem Lächeln erhellt. «Aber ich möchte gern», sagte er. «Und ich möchte gern mehr über Ihren Ausflug in die Boheme hören. Darf ich Sie zum Abendessen einladen?»
London, 1999
C lemmie nahm ihr Abendessen im Rivesdale House ein.
Es war erst sieben Uhr, noch früh, wie das fast leere Restaurant zeigte. Im Augenblick war es Clemmie egal, ob sie den üblichen Gepflogenheiten entsprach. Sie war froh, überhaupt noch die Augen offen halten zu können. Den ganzen Tag gab es eine Besprechung nach der anderen: Vom Dorchester House war es zur Kanzlei des Korrespondenzanwalts in der Silk Street gegangen, dann weiter in die Zentrale von PharmaNet im trendigen Docklands-Viertel. Clemmie mochte gar nicht daran denken, wie lange sie nun schon in denselben Kleidern steckte.
Eins musste man Brooks Brothers lassen: Ihre bügelfreien Blusen hielten wirklich gut durch. Und das bei – sie rechnete nach – siebenundzwanzig Stunden ständigen Gebrauchs. Komisch, sich vorzustellen, dass sie die Bluse gestern Morgen in ihrer Wohnung übergezogen und sie seither nicht gewechselt hatte. Gestern schien Millionen Jahre entfernt. Reisen von Kontinent zu Kontinent hatten eine eigenartige Wirkung, nicht nur auf das Zeitgefühl, sondern auch auf die abrechenbaren Stunden. Paul brüstete sich gern damit, dass er dank etwas Hilfe von der Concorde häufig mehr als vierundzwanzig Stunden an einem Tag abrechnete.
«Das ist schon was anderes als die Cafeteria bei uns im Büro, was?», flüsterte ihr Kollege Harold, der in dieser Sache mit ihr zusammenarbeitete.
«Hm?», machte Clemmie. «Entschuldige. Was hast du gesagt?»
Harold gab ihr einen kleinen Rempler. «Na das hier. Ziemlich beeindruckend.»
Dagegen ließ sich nichts sagen. Die Wände waren mit Brokat in einem satten Dunkelrot bespannt. Das Material war allerdings kaum zu erkennen unter der Unzahl nebeneinander und übereinander aufgereihter Gemälde, die an dünnen Drähten von der Deckenleiste herabhingen. Ein gemeinsames Thema schien sie nicht zu verbinden. Es sah aus, als wäre irgendjemandes Vorfahr so um 1700 in Rom auf Einkaufstour gegangen und hätte alles mitgenommen, was billig zu haben gewesen war: Schlachtenbilder, biblische Szenen, Landschaften, Porträts von selbstgefällig grinsenden Höflingen. Auch die obligatorischen Abbildungen von totem Geflügel, überquellenden Früchteschalen und Spaniels mit samtbraunen Augen fehlten nicht. Und dann gab es noch eine muskelbepackte Frau zu sehen, die einen abgehackten Kopf über eine silberne Schüssel hielt.
An zwei gegenüberliegenden Wänden waren offene Kamine, von eingelassenen Säulen eingefasst, echter Marmor glaubte Clemmie, zumindest schien ihr das auf den ersten, ungeübten Blick so. Über jeder Feuerstelle hing ein großes Porträt: eins von einer Frau mit eng geschnürter Taille im Stil des späten neunzehnten
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